MIT JAPANS SEILSCHAFTEN AUF DU UND DU
: Der Päckchendienst regiert

Beim neuesten Finanzskandal sind wieder alle dabei  ■ Aus Tokio Georg Blume

Wie immer sind sie alle dabei. Allen voran die Politiker, aber auch die großen Banken, dann die Immobilienunternehmen, Golfklubs und dubiose Stellvertreterfirmen. Und am Ende der unerlaubten Seilschaften fehlen auch diesmal die Gangster der Yakuza-Mafia nicht. Der Tokyo-Sagawa-Kyubin-Skandal

gilt in Japan schon zwei Wochen, nachdem erste Meldungen öffentlich wurden, als Betrugsgeschichte des Jahrhunderts. Und die Politiker stellen sich bereits darauf ein, daß man mit sehr viel größeren Opfern zu rechnen habe als bei jeder vergleichbaren Gelegenheit zuvor.

Deshalb muß es auf den ersten Blick stutzig machen, wenn der Skandal den banalen Namen eines Tokioter Päckchendienstes trägt. Tokyo-Sagawa-Kyubin ist nämlich nicht mehr als die Tokioter Filiale eines mit der Post konkurrierenden Austrageservices. Wofür in aller Welt hatten es gerade die Paketkuriere nötig, annäherend hundert Abgeordnete — immerhin ein Zehntel des gesamten Parlaments — zu bestechen?

Am Anfang gab es tatsächlich einen Grund: Sagawa-Kyubin war nämlich der jüngste von drei landesweit konkurrierenden Austragediensten — und verfügte als einziges dieser drei Unternehmen nicht über die entscheidene Straßenlizenz zwischen Tokio und Osaka, der meistbefahrenen Strecke im Land. Trotzdem aber rollten die Paketwagen der Firma unentwegt zwischen den beiden Metropolen. Damit die Gesetzeswächter sie nicht stoppten, brauchte Sagawa-Kyubin den langen Arm der Politik.

Als sich die Bestechungsgelder unerwartet gut auszahlten, kamen neue Anliegen dazu. Zu guter Letzt schien es gar am praktischsten, gleich das ganze Postpaketgesetz zu ändern. Auch das geschah, im Jahr 1990. „In der Branche ist man sich einig“, befand kürzlich der Sprecher einer Konkurrenzfirma, „daß die Gesetzesänderung nur für die Sagawa-Kyubin-Gruppe vorgenommen wurde.“

Wenn das eigene Geschick es erlaubt, nicht nur einzelne Politiker, sondern gleich den ganzen Gesetzgebungsapparat zu manipulieren, dann liegt der Wunsch nahe, diese Macht auch anderswo auszuprobieren. Hiroyasu Watanabe, 57 Jahre alt und Ex-Präsident von Tokyo—Sagawa—Kyubin, erlag genau dieser Versuchung, bis er am Freitag als Hauptverdächtiger für die Veruntreuung von annähernd sechs Milliarden Mark festgenommen wurde. „Watanabe hat vor meinen Augen mit einem einzigen Telefonanruf einen Staatssekretär ernannt“, vertraute einer seiner Komplizen am Samstag in einem Interview der Tageszeitung 'Asahi Shinbun‘ an.

Doch nicht nur Politiker schwitzen Angst darüber, wen die Staatsanwälte nun als Nächsten aufs Korn nehmen. Auch die größte Bank der Welt, die Dai-Ichi-Kangyo-Bank, muß um ihr Ansehen fürchten, da sie dem Bestecher Watanabe endlose Kredite gewährte, auf deren Rückzahlung sie niemals bestand. Ein ähnliches Schema, bei dem die freizügig verteilten Kredite allerdings nur der vergleichbar harmlosen Börsenspekulation dienten, hatte vor sechs Monaten das Image der Industrial Bank of Japan nachhaltig geschädigt.