: Mayr will HBV und ÖTV versöhnen
Der ehemalige IG-Metall-Chef schlägt Zusammenarbeit der beiden Gewerkschaften im Sparkassenbereich vor ■ Von Martin Kempe
Berlin (taz) — Im Konflikt zwischen den Gewerkschaften Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und Handel, Banken und Versicherungen (HBV) um die Organisation der Beschäftigten bei den Sparkassen bahnt sich eine Lösung an, die ein Modell für die innergewerkschaftliche Reformdiskussion werden könnte. Nach einem am letzten Dienstag vorgelegten Plan des ehemaligen IG-Metall-Vorsitzenden Hans Mayr, der vom DGB als Schlichter in dem Streit berufen worden ist, soll es keine Entscheidung für eine der beiden Gewerkschaften geben, sondern eine gemeinsame Zuständigkeit für den umstrittenen Sparkassenbereich. Untermauert werden sollte diese Zusammenarbeit durch eine Tarifgemeinschaft beider Organisationen, also einer Verpflichtung auf gemeinsame Tarifpolitik. Sollten sich beide Konfliktparteien auf diesen Vorschlag einlassen, wäre damit ein Lösungsmodell für alle weiteren und zukünftigen Abgrenzungsstreitigkeiten zwischen den DGB-Gewerkschaften gefunden, das organisationsegoistische Konkurrenz durch Kooperation und Vernetzung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung ersetzt.
Ausgebrochen ist der Konflikt zwischen ÖTV und HBV im Vereinigungsjahr 1990, als auch die Gewerkschaften ihre Organisation in die neuen Länder erweiterten. Während die Sparkassenangestellten in Westdeutschland (Ausnahme: Saarland) bei der ÖTV organisiert sind, waren die zu Zeiten der DDR in der Gewerkschaft Handel, Nahrung und Genuß, die größtenteils von der HBV übernommen wurde. Seither beanspruchen beide Organisationen den Sparkassenbereich in der gesamten Bundesrepublik für sich. Insbesondere in den neuen Ländern macht sich die offene Konkurrenz zwischen beiden Gewerkschaften in der betrieblichen Praxis störend bemerkbar. Die ÖTV führt an, die Sparkassen seien im Besitz der öffentlichen Hand und somit Teil des öffentlichen Dienstes. Die HBV dagegen meint, die Tätigkeit von Sparkassen-Angestellten unterscheide sich nicht von der Arbeit in kommerziellen Banken. Niemand sei bisher auf die Idee gekommen, beispielsweise die Metaller des im Besitz der öffentlichen Hand befindlichen Salzgitter- Konzerns bei der ÖTV zu organisieren. Im übrigen entspreche ihr Standpunkt dem Willen der DGB-Gründerväter.
Tatsächlich hatten die nach dem Kriege entschieden, die Sparkassen dem Organisationsbereich der gerade neu gegründeten „Retortengewerkschaft“ HBV zuzuschlagen. Weil die aber in der unmittelbaren Gründungsphase noch zu schwach war, wurde die Organisation der Sparkassen-Beschäftigten vorerst der ÖTV übertragen. Dabei ist es bis heute geblieben. Bis auf eine Ausnahme: Als 1957 das Saarland zur Bundesrepublik stieß, entschied sich der DGB gemäß seinem ursprünglichen Votum für eine Zuständigkeit der HBV. Dieses paradoxe, jahrzehntelange Nebeneinander wurde erst durch die deutsche Vereinigung durcheinandergebracht. Seither ist der offene Konkurrenzkampf ausgebrochen, und mit heftigen Anwürfen wird nicht gespart: „Die HBV soll sich ihre Mitglieder in den Betrieben ihres Organisationsbereichs holen und nicht bei uns“, schimpfte die ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies noch im Januar auf der Jahrespressekonferenz ihrer Organisation. Und der HBV-Vorsitzende Lorenz Schwegler verglich die weitverzweigte Mammutorganisation ÖTV spöttelnd mit dem auseinanderbrechenden Sowjetreich.
Von derartiger Polemik hält der Schlichter Hans Mayr nichts. Der inzwischen 70jährige Gewerkschaftsfuchs weiß, daß die Wahrung von „Besitzständen“ ein ehernes Gesetz von Apparaten ist. Er hat versucht, das „Entweder-Oder“ durch ein „Sowohl-als-auch“ aufzuheben und gleichzeitig eine Perspektive für zukünftige Konfliktregelungen unter den DGB-Gewerkschaften zu eröffnen. Die HBV hat bereits ihre Bereitschaft signalisiert, sich darauf einzulassen. Eine Stellungnahme der ÖTV steht noch aus. Wenn es keine vorherige Einigung gibt, soll die Entscheidung im Schiedsverfahren Mitte des nächsten Monats getroffen werden.
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