: Staatsfunker suchen einen Träger
■ Private oder öffentliche Zukunft: Was wird aus dem Programm RIAS2?
Berlin (dpa) — Dergleichen ist in der Geschichte des bundesdeutschen Rundfunks noch nicht vorgekommen: Eines der erfolgreichsten Radioprogramme wird meistbietend angeboten. Heute berät der Berliner Kabelrat erneut über die Zukunft von RIAS2. Das Programm braucht einen neuen Veranstalter — privat oder öffentlich-rechtlich.
Mit der deutschen Vereinigung war der Sendeauftrag des Rundfunks im amerikanischen Sektor (RIAS) 1990 erfüllt, löste sich der Hauptgeldgeber, das Innerdeutsche Ministerium, auf. Die Amerikaner hatten sich schon zuvor zurückgezogen. Das Programm RIAS1 kam glücklich unter das Dach des künftigen nationalen Hörfunks, RIAS2 blieb im Regen stehen. Im September 1991 schrieb der Berliner Kabelrat die reichweitenstarke Frequenz 94,3 Mhz neu aus. Denn nur bis Ende 1992 zahlt Bonn den Sendebetrieb noch aus der Steuerkasse.
Erfolgreichster Sender im Osten, ein Drittel der Hörer im Westen, darüber hinaus viel gehört in Brandenburg — wer würde sich nicht um diese Welle reißen? Private Bewerber meldeten sich: die „Radio-Information-Audio-Service 2“ — zu gut deutsch RIAS2 — mit dem Vater des Programms, dem früheren RIAS-Intendanten Peter Schiwy, sowie Berlins Veranstaltungskönig Peter Schwenkow. Mit im Rennen auch SAT.1, der deutsch-französische Bewerber Europa 1, der Holtzbrinck-Verlag und die lokalen Privatradios RTL und INFO 101. Weder der SFB noch der neu hinzugekommene Ostdeutsche Rundunk (ORB) beeilten sich, beim Kabelrat ihren jeweils eigenen Antrag einzureichen und warteten bis zum Anmeldeschluß.
Selbst RIAS-Intendant Helmut Drück glaubte schließlich nicht mehr an ein reales Interesse seiner ARD- Kollegen und riet Ende Januar zur Privatisierung. In der Tat sind die Motive von SFB und ORB nur allzu durchsichtig: Es geht um die starke Frequenz und um Reichweiten, die durch die Einführung von Werbung in klingende Münze verwandelt werden und die Defizite der Anstalten mildern sollen. Das aber wollte der Kabelrat mit der Einbindung der ARD-Anstalten eigentlich vermeiden und das Programm weiterhin werbefrei halten.
Die Vergabe der Lizenz an Private, wie sie auch die Berliner CDU fordert, wirft zwei grundlegende Fragen auf: Der Berliner Werbemarkt hat im Hörfunkbereich derzeit ein Jahresvolumen von etwa 70 Millionen Mark. Würde das bislang werbefreie RIAS2-Programm mit seinen immer noch enormen Reichweiten hinzukommen, würde das für einige Konkurrenten erhebliche Probleme bis hin zum vorzeitigen Aus bedeuten. Andererseits könnte das privatisierte Programm nicht annähernd genug erlösen, um — wie vom Kabelrat gefordert — den derzeitigen Standard an politischer Information zu halten.
RIAS2 würde privatisiert noch weitaus mehr kosten als bisher, denn bislang nutzt das Programm kostenlos die Infrastruktur der ARD — Leitungen, Korrespondenten, Archive, Technik und vieles andere mehr. Diese Leistungen müßten auf dem freien Markt beschafft werden und wären dann entsprechend teuer. Ein weiteres Problem: Ist es eigentlich zulässig, ein mit öffentlichen Mitteln in annähernd dreistelliger Millionenhöhe finanziertes Erfolgsprogramm zu verschenken?
Nichts anderes würde eine Lizensierung bedeuten, denn die kostete den künftigen Betreiber nichts. Er erhielte praktisch die hohen Einschaltquoten, die sich andere Privatsender mit erheblichem Aufwand und wachsendem Risiko erkämpfen müssen, als Morgengabe. Die Wettbewerber sind alarmiert, und es scheint, als würde ein solche Lösung auf Basis der letzten Rundfunkurteile des Bundesverfassungsgerichts sehr bald die Gerichte beschäftigen.
Der Kabelrat ist in einer selten verzwickten Lage: In wenigen Wochen läuft die gesetzliche Grundlage für das Gremium ab, eine gemeinsame Medienanstalt Berlin-Brandenburg auf Grundlage des abzuschließenden Medienstaatsvertrags ist noch nicht in Sicht. Jedes weitere Verzögern schadet RIAS2 — jeder falsche Entschluß möglicherweise nicht minder. Hannes Bahrmann
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