: Yoga und die Folgen
■ „Céline“ von Jean-Claude Brisseau (Wettbewerb)
Ich habe es ja geahnt. Schon am Ende des vielgelobten De bruit et de fureur, des ersten Films von Brisseau, ereignete sich eine verdächtige Marienerscheinung. Nun hebt er also vollends ab, aber richtig, mit Levitation und allerlei anderem christlichen Budenzauber. Mir gefällt diese Konsequenz. In De bruit et de fureur war Brisseau noch ein finsterer katholischer Sozialarbeiter, der Erfolg scheint ihn zum Mystiker geläutert zu haben.
Céline (Isabelle Pasco) ist verzweifelt. Auf dem Sterbebett hatte ihr der Vater, ein Millionär, mitgeteilt, daß er sie nur adoptiert hat. Als sie aufs Erbe verzichtete, verließ sie auch noch ihr Verlobter. Geneviève — möchte man nicht unwillkürlich ein „Sainte“ vor diese Frauennamen setzen? — nimmt sich ihrer an. Geneviève (Lisa Heredia) ist Krankenschwester, auch sie hat Schlimmes durchgemacht. Célines Familie bezahlt sie, daß sie ihr aus der Depression hilft. Geneviève zieht zu Céline ins schöne alte Landhaus.
Geneviève lehrt Céline Yoga, die liebevolle Hingabe an andere Pflegefälle — diese für Kirchenmänner und Vorsteher von Sozialbehörden so nützliche weibliche Tugend —, und das Zimmer aufräumen. Sie macht ihre Sache zu gut. Besonders Yoga hat für Céline Folgen, die sich in ihrer vollen Tragweite vielleicht noch gar nicht absehen lassen. Céline verdoppelt sich zum Beispiel, tritt als Céline Numero Zwei aus sich heraus und hinter Céline, die natürlich einen ganz schönen Schreck kriegt. Oder sie schwebt, mitten im bürgerlichen Interieur, und sie heilt Wunden durch bloße Berührung, Lahme stehen bei ihrem Anblick auf — zugegeben, sie ist hübsch. Klar, daß sie am Ende ins Kloster geht, von wo aus sie, wie sie brieflich mitteilt, auf Mission an die chinesische Grenze geschickt wird.
Irgendwie mag ich den Film. Er hat entschieden die schönste Kamera des ganzen Festivals — diese exquisite Schlichtheit, die nur die Franzosen beherrschen, und praktisch ohne daß Brisseau in den Kitsch der irdenen Krüge und des weißen Linnens bei Kerzenlicht verfällt, wie wir ihn aus Alain Cavaliers Thérèse und anderen Mysterienspielen der letzten Jahre kennen. Auch Autos und Eisenbahnzüge dürfen bei Brisseau schön sein. Es gibt sogar eine Sexszene. Bei mir funktionieren sogar die simplen Tricks — diese schwebenden und doppelten Célines —, wahrscheinlich weil sie in aller Stille und Selbstverständlichkeit vorgeführt werden. Beim stummen Auftritt des Kapuzenmanns — könnte der liebe Gott sein! — durchfährt mich ein heiliger Schauder. Bin ich erweckt? Thierry Chervel
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