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Vermodern im Wohncontainer

■ „Para Dies“ in Detmold: Neues vom Tanztheater

In Detmold steht das Hermannsdenkmal. Es gibt dort auch ein Landestheater, das das gebirgige Westfalen mit Opern, Operetten und Klassikern bespielt. Und neuerdings gibt es auch eine vierte Sparte: das Ballett; aber nicht die Tutu-Seligkeit alter Hupfdohlenschule. Hier wird tatsächlich Theatermut bewiesen: beispielsweise am vergangenen Sonntag mit der Uraufführung des ersten Tanztheaterstückes der Hamburgerin Ulrike Fischer. Para Dies heißt das Stück der 28jährigen Autorin, das sie zusammen mit Serge Weber (Musik) und Richard Lowe (Choreographie) inszeniert hat.

Autorin und Komponist lernten sich als Mitarbeiter von Hans Kresnik in Bremen kennen. Unverkennbar ist so auch Kresniks Einfluß im Para Dies zu spüren. Aber hier wurde kein Stil kopiert. Es ist Kresniks Art des Zugriffes auf die Wirklichkeit, die übernommen wurde. Aussage und Darstellung sind ohne Umschweife radikal. Das schmeckte den braven Detmolder Abonnenten bei der Premiere überhaupt nicht, und eine Pause zum Sektschlürfen gab es auch nicht. Es wurde gebuht.

Para Dies zeigt eine typische Geschichte und schenkt sich sentimental Individuelles: eine Asylantenfamilie kommt in Deutschland an. In der fremden Konsumwelt werden Vater, Mutter, Tochter und Sohn hin- und hergerissen zwischen Anpassung, Mißachtung und Gewalt. Die Mutter wird bis zum Umfallen mit Milka-Schokolade gefüttert, der Sohn verkommt in den Verlockungen der Warenwelt, die er sich nicht leisten kann. Am Schluß vermodert die Familie in unserem Wohlstandsmüll, der aus ihrem Wohncontainer quillt.

Nichts ist von Goodwill und Sozialarbeiterbetroffenheit zu sehen. Der durchgestylten Gesellschaft wird das Boss-Deckmäntelchen weggerissen. Und was zeigt das Ensemble beim Exhibitionieren? Es ist unisexuell, geschlechtslos. Wenn schon im Kopf nichts ist, was kann dann noch zwischen den Beinen sein, da doch sowieso alles in den Bauch einverleibt wurde?

So böse, wahr und aktuell ist Para Dies — und das läßt sich auch noch in ein paar Jahren so spielen. Zwar gibt es einen reichlich mystischen Prolog im Garten Eden, und auch die TänzerInnen waren nicht alle von gleicher Qualität. Aber Ulrike Fischer mußte sich als Gastregisseurin eben mit dem bescheiden, was Detmold bieten kann. Doch auch Pina Bausch hat in Wuppertal klitzeklein angefangen. Schön wär's, dieser Versuchsballon fände Fortsetzungen — mit einem Tanztheater, das politisch ist, ohne künstlerisch blaß zu bleiben. Und dazu gehört schon Mut zwischen all den Zigeunerbaronen in Detmold — und anderswo. Hermann weiß das. Wolfgang Brosche

Para Dies . Ein Ballettabend von Ulrike Fischer (Inszenierung), Richard Lowe (Choreographie) und Serge Weber (Musik). Landestheater Detmold. Nächste Aufführungen: 21., 22. 23., 26. und 28.2.

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