piwik no script img

Verhältnis SPD/SED

■ betr.: "Fetisch Stabilität" (Die Ost- und Deutschlandpolitik der SPD ist im Zusammenhang mit der Affäre Stolpe unter Beschuß geraten) von Christian Semler, taz vom 20.2.92

betr.: „Fetisch Stabilität“ (Die Ost- und Deutschlandpolitik der SPD ist im Zusammenhang mit der Affäre Stolpe unter Beschuß geraten) von Christian Semler,

taz vom 20.2.92

Der Artikel macht am Beispiel der SPD deutlich, wie Vergangenheitsbewältigung 1991/92 vor sich geht: Sie findet nicht statt. Es wird laviert, relativiert und mit klassischen Rationalisierungen gearbeitet. Wie schön wäre es, wenn ein führender Sozialdemokrat sagen würde: Ich wollte die Entspannung und habe dabei vieles nicht gesehen, beiseite geschoben und nicht wahrhaben wollen. Kein ernsthafter Mensch würde ihn in die absurde Nähe zum DDR-System rücken! Vielmehr könnte das ein Einstieg sein in eine so notwendige Diskussion darüber, warum sich so viele Linke um objektiv ehrenwerter Ziele (Entspannung) willen so affirmativ zur totalitären DDR verhielten.

Noch trostloser wird es jedoch, wenn man wahrnimmt, mit welcher Verdrängungs- und Verleugnungslust viele der wirklichen Anhänger des „real untergegangenen Sozialismus“ operieren. Kein Wort darüber, was jemanden dazu bringen konnte, mit allem Herzblut für diesen autoritären Schnüffelstaat einzustehen, von dem nun immer deutlicher wird, daß er so ungefähr das Gegenteil von dem gewesen ist, was Linke immer angestrebt haben.

Nicht nachlassend im plakativen Worthülsenkampf um demokratische und gewerkschaftliche Rechte wird alles zugedeckt, was auch nur in die Nähe von Reflexion der eigenen politischen Vergangenheit führen könnte. Ihre agitatorischen Sprechblasen sind die von 1988: business as usual! [...] Peter Augner, West-Berlin

Anders als manche Hauruck-Kritiker hat Christian Semler zweifellos eine differenzierte Sicht, die auch der SPD-Ratio gerecht zu werden sucht. Aber sein Urteil sieht, wie bei vielen anderen Kritikern, von einigen zentralen Faktoren ab, die die Ostpolitik der SPD (und mit Verspätung durchaus ähnlich auch der CDU) bestimmt haben.

Zum einen hat die SPD seit dem Ende der vierziger Jahre bis Ende der fünfziger Jahre massiv systemfeindliche Opposition in der SBZ-DDR gestützt, hat mit Hilfe des Ostbüros bis hin zur Wirtschaftssabotage die Herrschaft der SED zu stürzen versucht. [...] Das Herrschaftssystem der DDR hat sich in seiner eigenen Kampf-, Verschwörungs- und Festungslogik dadurch nicht nur bedroht, sondern auch wesentlich bestätigt gesehen und in leninistischer Tradition mit Terror gegen echte oder vermeintliche Opposition reagiert. Eine Bürgerbewegung, wie die der achtziger Jahre, hätte in den Fünfzigern nicht miese Verleumdung, unerwünschte Pakete, Haussuchungen und Zwangsemigrationen von der Stasi verpaßt bekommen, sie wäre in Massenprozessen zu sieben bis 15 Jahren Bautzen schon in der ersten Formierungsphase verurteilt worden. Im Kontext mit der Massenmigration in die BRD stand am Ende dieser Herrschaftslogik die Abschottung durch die Mauer.

Es ist nicht strittig, daß die allmähliche Milderung des DDR-Herrschaftssystems (durchaus bei gleichzeitiger Verfeinerung des Terrors), die Entstehung einer kleinen inneren Opposition, die nicht nur nach Westen wollte, Resultat einer Politik war, die die Herrschaftsverhältnisse anerkannte, ohne den Zusammenbruch als Perspektive des Handelns zu setzen. Ich denke, daß meine Erinnerung richtig ist, nämlich daß der staatliche Terror immer dann exzessiv zuschlug, wenn die Verbindung nach dem westlichen Deutschland oder gar die Steuerung von dort angenommen wurde. Das entsprach dem tradierten polaren Festungsdenken der in die Jahre gekommenen Obrigkeit. Chancen einer — immer wieder bedrohten, aber doch gerade noch geduldeten — Teilopposition, eben verschiedener Friedens- und Bürgerrechtsbewegungen, wären auch in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre im Moment einer merklichen Stützung durch westdeutsche politische Organisationen vorbei gewesen. Es gehört zu den von allen(!) Seiten befolgten Spielregeln der Achtziger, daß die Bürgerbewegung ihrer sozialistischen Obrigkeit allersozialistischste Opposition darstellte, auch wenn sich alles über ARD und ZDF vermittelte. Auch die SED-Obrigkeit hat dieses Als-ob mitgespielt zur Selbstberuhigung, alles noch im Griff zu haben. Wie sehr diese Rolle auch der Opposition anhaftete, zeigt der Ausspruch Bärbel Bohleys im November 1989, daß die Maueröffnung zu früh gekommen sei.

Die Distanz der SPD zur Bürgerbewegung der DDR mag schmerzlich gewesen sein, sie war aber Voraussetzung für deren Überleben. Das betrifft gerade auch die letzten Wochen der Honecker-Herrschaft. Der Gewaltapparat des Staates war enorm aufgerüstet, man denke allein an das Waffenarsenal der Staatssicherheit, die Ultima ratio des Blutbades nach innen war vorstellbar. Viele haben offensichtlich vergessen, welche Streitmacht in Leipzig vor der entscheidenden Montagsdemo im Oktober 89 zusammengezogen war. Nicht zuletzt die unausgesprochene Übereinkunft, daß es sich doch um eine friedliche, ausschließlich innere Bewegung handele („Wir sind das Volk“), hat für die Führungsriege die Kapitualtion annehmbar gemacht. Denkbar wäre nach den Erfahrungen der deutschen Geschichte auch ein anderer Ausgang gewesen, wenn noch einmal der Reflex wirksam geworden wäre, eine belagerte Festung im historisch letzten Gefecht zu verteidigen. 1944/45 wurde die Götterdämmerung aus Bayreuth in die deutsche Wirklichkeit übertragen. 1989 sind wir an einer Neuinszenierung der Götterdämmerung durch das Berliner Ensemble vorbeigekommen. Peter Jahn, West-Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen