Ein Figaro für den Grand-Slam

■ Der Kroate Goran Ivanisevic gilt nach seinem Sieg bei den Stuttgart Classics auf einmal wieder als ernsthafter Anwärter auf eine exponierte Stellung in der Tennisbranche

Stuttgart (taz) — Urplötzlich ist er wieder ein, ach was, das Thema der Branche. Die Tenniswelt hat sich eine alte, schon fast mit Nein beantwortete Frage aufs neue zu stellen: kann Goran Ivanisevic, das Aufschlagmonster aus Split, (doch) noch einer der ganz Großen des Genres werden?

In Stuttgart bei den Classics, hat es letzte Woche den Anschein gehabt, als könne er. Bis auf Sampras und Stich waren alle da, die Rang, Listenplatz und Namen vorzuweisen hatten. Doch gegen den 20jährigen hatte keiner eine echte Chance. Am ehesten noch der rotbackige Branchenführer Jim Courier, der im Viertelfinale nur hauchdünn klein beigeben mußte. Doch schon sein Stellvertreter Stefan Edberg war im Finale klar der Schwächere. Dabei war er mit sich nicht einmal unzufrieden, sagte sogar, er habe eigentlich ganz gut gespielt. Richtig im Spiel war der Schwede allerdings nie, denn längere Ballwechsel gab es so gut wie gar nicht. Bis die Nummer zwei sich einen Schlag überlegt hatte, war der Punkt längst von Ivanisevic gemacht. Edberg bleibt da nur ein Achselzucken: „Das passiert eben auf einem solchen Boden.“

Der superschnelle Supreme- Court kam dem lange Zeit als Nur- Aufschläger bekannten Kroaten in der Tat entgegen: 32 Asse schlug er im Finale, insgesamt waren es 105 in fünf Spielen. Doch damit allein ist die Sache nicht erklärt. Bob Brett und sein Schüler haben vor allem am Return gearbeitet: „Im letzten Jahr habe ich ziemlich schlecht retourniert. Im Moment klappt das sehr viel besser“, sagt Ivanisevic. Viodeobänder mit Studien der seiner Meinung nach besten Retournierer Jimmy Conners und Andre Agassi hat er sich angeschaut: „Ihre Beine, wie die sich bewegen“, und seine Schlüsse daraus gezogen: „Ich beweg mich jetzt mehr.“

Der Erfolg stellte sich sofort ein. In diesem Jahr siegte er bereits in Adelaide, stand in Mailand im Finale und steht seit Montag auf Platz 7 der Weltrangliste, so hoch wie nie zuvor. Das Zwischentief des letzten Jahres scheint überwunden und die Verpflichtung des früheren Becker-Trainers Brett doch noch die gewünschte Wirkung zu zeigen.

Goran Ivanisevic, bis dato als launenhafter Bengel verrufen, scheint plötzlich zu ernsthafter Arbeit fähig. „Wir analysieren meine Spiele und schauen alle hinterher auf Video an, egal, ob ich gewonnen oder verloren habe.“ Brett, der seine Meriten speziell auf dem Gebiet der Psychologie gewonnen hat, soll inzwischen auch Aufpasser-Tätigkeiten wahrnehmen: Nächtliche Kontrollanrufe sichern dem Diskotheken-Freak den Schlaf.

Ob Ivanisevic ausgeschlafen genug sein wird, um auch größere Ereignisse gewinnen zu können, darüber ist man sich noch nicht einig. Stefan Edberg verweist gelassen darauf, daß der Kroate „bisher keine großartige Bilanz“ habe, was Grand- Slams beträfe. Was stimmt, vor zwei Jahren stand er einmal im Halbfinale, doch das war — klar — auf dem schnellen Gras von Wimbledon. Der Linkshänder setzt sich aber nicht unter Druck: „Generell ist es aber wichtiger, mein Tennis über einen längeren Zeitpunkt auf einem hohen Level zu halten.“ Wie das genau funktionieren soll, scheint der Sohn eines Uni-Dozenten und einer dipolmierten Chemikerin, der selbst die Schule nach der achten Klasse verließ, auch nicht zu wissen. Das es aber etwas mit der Bereitschaft zu tun haben könnte, noch härter zu arbeiten und schnell erwachsen zu werden, das ahnt er. Die Hand des Vaters, die ihn jahrelang lenkte, hat er inzwischen von seiner Schulter genommen. Sein Geld zählt jetzt Ion Tiriac. Und Goran ist jetzt Goran — der Vater redet zwar noch so viel auf ihn ein wie eh und je, „aber ich höre inzwischen nicht mehr zu“. Einst hat die Familie für die Karriere des Buben das eigene Heim geopfert, doch die Schulden konnte jener noch als Halbwüchsiger begleichen. Jetzt kann er als Mann- Anwärter an größere Aufgaben denken. Auch außerhalb der weißen Linien, wo er sich bei jeder Gelegenheit für die Rechte seines Heimatlands Kroatien einsetzt.

Doch so ganz erwachsen und abgeklärt ist er auch wieder nicht. Sein Racket wirft er nach wie vor bei jedem eigenen Fehler über den Court und behauptet störrisch weiter, das schade ihm nichts sondern baue ihn im Gegenteil auf. Doch gestiegenes Selbstbewußtsein dokumentiert er auch mit seinem Haarschnitt, der die Weltpresse im übrigen weitaus heftiger interessiert als die Maloche an seinen Returns. Jener ist nämlich, neutral ausgedrückt, etwas eigenwillig, stammt in seiner ersten Version von einem belgischen und mit 500 dortigen Francs entlohnten Figaro.

Die zweite und bisher endgültige Fassung verbrach Gorans Schwager, der zuvor alles mögliche in seinem Leben getan haben mag, doch sicher keine Haare geschnitten. Aber: Ivanisevic' vormals weiches Bubigesicht wirkt jetzt entschlossener. Er fühle sich auch ausbalancierter, „mental sehr stark“ und: „Ich spiele jetzt viel besser!“ — ein Figaro für einen Grand-Slam. Peter Unfried