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Landslayt in Amerika

Diaspora-Kino: 3sat zeigt ein großes Festival des jiddischen Films  ■ Von Mariam Niroumand

Manche Fernsehfestivals wirken zusammengeschustert, doch hier hat einmal eine Redaktion wirklich sorgfältig ausgesucht: Die elf jiddischen Filme, die jeden Freitag im Spätprogramm von 3sat laufen, sind nicht nur Highlights ihres Genres, sondern markieren auch dessen kulturelle und ästhetische Spannungsfelder. Bevor es heute abend Uncle Moses zu sehen gibt, wird in dem Filmforum Es war einmal ein Jiddischland das amerikanische National Center for Jewish Film vorgestellt, dessen Arbeit eine Idee von der Komplexität dieses Diaspora-Kinos vermittelt. Von den fünf Rollen eines Films fand man zwei bei Sammlern in Brasilien, zwei auf einem Dachboden in Australien und eine in einem verstaubten Archiv in Israel. „Wir waren immer ein Volk des Buches“, meint die Archivleiterin Sharon Rivo, „aber in Amerika haben wir gelernt, Film als Ethnographie zu betrachten, zu sehen, wie unsere Geschichte auf Zelluloid konserviert wird.“

Daß die Filme dennoch nichts Museales an sich haben, liegt daran, daß in ihnen meist ein Zeitsprung, ein Ortswechsel oder ein Generationskonflikt stattfindet — Visualisierungen der Passage aus der osteuropäisch-chassidischen Schtetl-Tradition in die Maschinenwelt der amerikanischen Moderne. Uncle Moses (Sidney Goldin, USA 1932) zeigt einen gewieften, skrupellosen und desillusionierten Allrightnik, einen Immigranten, der es mit seinem Sweatshop zu etwas gebracht hat und der seine Landslayt aus Galizien in die vollgestopften Mietskasernen der Second Avenue geführt hat wie einst sein Namensvetter die Israeliten aus Ägypten. Aber die Mischpoke bricht unter dem Druck der Depression auseinander — der Film entwirft ein düsteres Bild von der Zukunft des alten Volkes in der Neuen Welt.

Die Woche darauf folgt Das Jiddische Kino, ein eher humorloser Überblick über die Produktionen dieses kauzigen Genres. Aber danach kommt Jidl mit der Fiedel, und wen dieser Film nicht freundlich stimmt, der sollte zum Arzt gehen. Gegen diese lichten Weiten setzt Der Dibbuk (M. Waszynski, Polen 1937) die Sicht eines assimilierten westlichen Juden vom ukrainischen Schtetl als klaustrophobischem Schattenreich der Grabsteine, der geisternden Gespenster und der Teufelsaustreibungen. Der Regisseur, ein Schüler von Murnau und Stanislavski, inszeniert diesen Genspensterreigen als zarte Schimmer auf Zelluloid, die zwischen den scharfkantigen Schatten des Expressionismus hindurchhuschen. Die sexuellen Implikationen der Tatsache, daß sich all der Spuk vor einer Hochzeitsnacht ereignet, entgehen einem heutigen Publikum natürlich nicht.

Eine tränenreiche Angelegenheit ist Ein Brief an die Mutter (J. Green, Polen 1938), der einem Genre nahekommt, das in Amerika „shund“ genannt wurde, ein jiddischer „wheepie“, dessen Zentrum die sich aufopfernde jiddische Mame ist, deren Tränen vor allem ihre Söhne in einem terrestrischen Fegefeuer des schlechten Gewissens halten.

Der schöne Maurice Schwartz, der jiddische Fred Astaire, hat in Tewje der Milchmann (USA 1939) selbst Regie geführt, einer der wenigen Filme, der die Pogrome im zaristischen Rußland direkt zum Thema macht. Das 3sat-Programm schließt mit zwei Filmen, deren Antrieb und Strukturprinzip der Untergang der jüdischen Lebenswelten im Osten ist. Samy Szlingerbaum läßt seine Mutter in Brüssel Transit aus dem Off in jiddisch die Geschichte ihrer Flucht aus Polen zu Schwarzweißbildern von Wartehallen, Bahnhöfen, trostlosen Cafés, Brücken und regennassen Straßen des nächtlichen Brüssel erzählen. Das Zusammentreffen dieser Bilder von tiefster (weil menschenleerer) Nacht mit Jiddisch ist eine erschreckend wirkungsvolle Art, „Verlust“ in der Sprache des Kinos zu buchstabieren.

Eleanor Antin ist den umgekehrten Weg gegangen und hat in The Man Without a World versucht, Jiddischland mit seiner eigenen Galerie von Typen und Themen als Stummfilm zu reanimieren. Dabei merkt man ihr aber sowohl die Schule des amerikanischen Experimentalfilms als auch die der feministischen Geschichtsschreibung an: Themen und Bilder, die im jiddischen Kino ausgeblendet waren, stehen hier im Vordergrund.

Heute auf 3sat: „Es war einmal ein Jiddischland“, 22.50 Uhr, und „Uncle Moses“, 23.20 Uhr.

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