: Eisige Konferenzschaltung
■ EHC Freiburg und EC Ratingen weilten zeitgleich zum Eishockey in Berlin/ Hinter der Namensfassade verbargen sich Deutschlands „wahre Ossis“
„Guten Abend, liebe Eishockey- Fans, hier ist Jürgi Schulzov aus der Eissporthalle Hohenschönhausen. Dynamo Berlin gegen EC Ratingen lautet die heutige Schlagerpartie der Zweiten Eishockey-Bundesliga. Doch es geht ausnahmsweise mal nicht um zwei profane Punkte im Kampf um den Aufstieg. Fast viertausend Zuschauer haben sich im Stadtforum eingefunden, um der einzig geglückten Integration von Fremden in Deutschland zuzujubeln.
Ja, und ich sehe sie aufs Eis kommen, die Cracks aus Sowjet-Ratingen in ihren Hemden ohne Hammer und Sichel — angeführt von Sergej Swetlow, dem einstigen Olympiasieger von Dynamo Moskau. Neben ihm Witali Grossmann, der Sturmtank aus den Erdölfeldern Sibiriens. Gemeinsam spielen sie wie aus einem GUS. Nun erkenne ich auch das deutsch-brüderliche Kombinationswunder, Boris und Sascha Engel aus dem Taiga-Städtchen Kamenogorsk, die ihrem Trainer Barinew die Soljanka auf den Schlagstöcken zur Auswechselbank jonglieren. Igor Kusnezow (EC Ratingen) stimmt mit seinem Mannschaftskameraden Sergej Abranow leise die Internationale an. Das Publikum vernimmt dies zwar voller Erstaunen, doch kann es ihnen nicht böse sein, denn die beiden Rheinländer sind gerade frisch integriert.
Ihre Nobelkarossen haben die Ratinger vor der Halle abgestellt und sind auf Schlittschuhen ins Eisoval gekommen — eine nette Geste, die das phantastische Publikum zu würdigen weiß. So sind wir Deutschen eben: nachsichtig — verbissen und leicht zu begeistern. Ich sehe, wie zahlreiche Zuschauer Transparente entrollen, auf denen etwa zu lesen ist: ,Vorwärts mit der einzigen sozialistischen Errungenschaft, dem Eishockey-Sport!‘ Oder: ,Wir geloben vier Einbürgerungen mehr bis zum nächsten Parteitag der CDU!‘ Allesamt einprägsame Bilder von einem friedlichen Miteinander statt Gegeneinander. Sieht es in der Charlottenburger Eissporthalle Jafféstraße genauso aus? Ich rufe meinen Kollegen Jiri Slz beim Spiel BSC Preussen gegen EHC Freiburg!“
„Hier im Wolfgang-Schäuble- Memorial in Eichkamp haben die Berliner Eishockey-Fans noch keinen Grund zum Jubeln. In den ersten zehn Sekunden dieses mit Spannung erwarteten Viertelfinales um die Deutsche Meisterschaft brennen die Freiburger Gäste vor Ehrgeiz wie einst Johannes Hus im nahen Konstanz. Hier hat Ladislaw Olejnik, der Trainer der Breisgauer, ganze Arbeit geleistet. Kein Zweifel, er spricht die Sprache seiner Spieler!
Gestützt auf ihren überragenden Tormann Jiri Crha, tauchten die Südbadener, die nach dem Prager Kassensturz fast alle über den EHC Zirndorf an die Dreisam kamen, durch Frantisek. Prochazka, Pavel Mann, Peter Ihnacak oder Jacek Plachta mehrmals brandgefährlich vor dem Gehäuse des Gastgebers auf. Die größte Chance, zum Torerfolg zu kommen, besaß allerdings Damian Adamus, der nach einem Doppelpaß mit Petr Hejma am Pfosten des Preussen-Tores scheiterte.
Meine Damen und Herren, soeben erfahre ich vom Hallensprecher, daß die Preussen zu deprimiert sind, um weiterspielen zu können. Sie wollen sich statt dessen ihr Match in aller Ruhe live im Fernsehen anschauen. Ich gebe deshalb zurück ins sportive Politbüro an der Kreuzberger Kochstraße!“ Jürgen Schulz
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