: Mielke auch ohne Hut schweigsam
Interview vom Wochenende gibt Rätsel auf/ Die von der Verteidigung angekündigte „totale Wende“ im Verfahren blieb aus/ Gericht verlas Briefwechsel und Zeitungsausschnitte zum Bülowplatz-Prozeß ■ Aus Berlin Heide Platen
Daß der Hut diesmal nicht dabei war, hatte zu Beginn des Verhandlungstages im Saal 700 des Berliner Landgerichts zu den schönsten Vermutungen Anlaß gegeben. Erich Mielke erschien barhäuptig. Die „totale Wende in dem Prozeß“, die sein Verteidiger Dreyling am Samstag in der 'Berliner Zeitung‘ angekündigt hatte, fand dennoch nicht statt. Ebensowenig löste der ehemalige Minister für Staatssicherheit der DDR die Ankündigung ein: „Herr Mielke wird reden.“ Herr Mielke schwieg. Verteidiger Dreyling allerdings sagte noch vor der Tür eine „Faschingssitzung“ voraus — und zwar auf seiner Seite des Gerichtssaales. Die blieb er dann auch schuldig. Statt dessen äußerte er sich gleich in der ersten Minute sibyllinisch darüber, daß der Prozeß sich derzeit „auf kuriose Weise“ zuspitze: „Ich weiß nicht, wie weit ich noch für Herrn Mielke sprechen kann.“
Die Spekulationen schossen ins Kraut: War Dreyling federführend in dem ebenfalls in der 'Berliner Zeitung‘ veröffentlichten „Interview mit Erich Mielke“? Hat es überhaupt stattgefunden? War es wirklich Erich Mielke, der da der 'BZ‘ aufrecht stehend „mit fester Stimme und klarem Verstand“ in gedrechselten Sätzen Rede und Antwort stand?
Vorsitzender Richter Theodor Seidel holte mit dem Kriminalbeamten Böhm nicht nur einen lebenden Zeugen, sondern auch die Gespenster der gestorbenen Zeitzeugen in den Saal, deren einziger Überlebender Erich Mielke ist. Die 1934 wegen der Erschießung der Polizisten Anlauf und Lenck 1931 am Berliner Bülowplatz Angeklagten sind samt und sonders tot, hingerichtet, verschollen, in Nazi-Haft oder am Alter gestorben. Briefwechsel und Zeitungsausschnitte dokumentierten eine Stunde lang Verwirrung, Spitzelangst, internes Chaos und äußere Bedrohung der Kommunistischen Partei in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Dabei ging es vor allem um die Geständnisse, die die „wahren Täter“ aus dem Exil sandten, um die 15 Angeklagten zu entlasten und um eine ideologische Auseinandersetzung zwischen einem „Max“ und einem „Adam“, welche politische Strategie die richtige sei. Ob die „Aktion“ am Bülowplatz nun geplant oder aber „spontan“ geschehen, also Mord oder Totschlag war, erweist sich, damals wie heute, als kontrovers. Erich Mielke sagte laut 'Berliner Zeitung‘ dazu: „Ich bin weggerannt, um nicht selbst abgeknallt zu werden.“
Die Zeitungsausschnitte aus Deutschland und der Schweiz lesen sich wie ein vorzeitiger Widerspruch zur Entscheidung des Gerichts, das Verfahren nicht einzustellen. Vorsitzender Seidel hatte betont, er beziehe sich bei der Urteilsfindung nicht auf Gestapo-Akten, sondern „überwiegend auf richterliche und polizeiliche Vernehmungen“. Die Baseler 'Rundschau‘ nannte den Bülowplatz- Prozeß 1934 „eine Generalprobe für den Thälmann-Prozeß“.
Über den Verbleib der 1990 bei Erich Mielke beschlagnahmten Akten über den Bülowplatz-Prozeß konnte Kripo-Mann Böhm dem Gericht keine Auskunft erteilen. Sie waren im Zuge der Ermittlungen aus den Räumen des Generalstaatsanwaltes der DDR verschwunden und dann, um einige Bände dezimiert, wieder aufgetaucht. Böhm: „Das bleibt im dunkeln. Das ist absolut geheimnisvoll.“ Und: „Sie waren da, dann weg, dann wieder da.“ Verteidiger Dreyling: „Wenn jemand kein Interesse daran hatte, sie verschwinden zu lassen, dann mein Mandant.“
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