: Risiko Selbstmord
Irische Richter erlaubten Ausreise zur Abtreibung wegen der Selbstmorddrohung des 14jährigen Mädchens ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Da die Selbstmorddrohung der 14jährigen Irin, die nach einer Vergewaltigung schwanger geworden war, ein „erhebliches Risiko“ darstellte, habe man dem Mädchen die Ausreise zum Zweck eines Schwangerschaftsabbruchs in England erlaubt. Damit begründete gestern der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs in Dublin, Thomas Finlay (69), das Urteil, mit dem das Ausreiseverbot der ersten Instanz vor acht Tagen aufgehoben worden war. Andernfalls könnte man das Mädchen praktisch nicht am Selbstmord hindern, sagte Finlay. Drei der übrigen vier Richter stimmten ihm zu.
Am weitesten ging sein Kollege Hugh O'Flaherty. Der 53jährige Richter sagte, solange es keine Gesetze gäbe, müsse man aufgrund der Verfassung zwischen dem Schutz des Lebens der Mutter und dem des Kindes abwägen. Wenn das Leben der Mutter gefährdet sei, könne eine Abtreibung erlaubt werden, selbst wenn die Gefahr nicht unmittelbar sei. Lediglich Richter Anthony Hederman (70) hatte gegen die Mehrheitsentscheidung gestimmt und war für eine Bestätigung des Ausreiseverbots eingetreten.
Die Urteilsbegründung des Gerichts ist bei den der katholischen Kirche nahestehenden Organisationen mit blankem Entsetzen aufgenommen worden. Ein Mitglied der „Gesellschaft zum Schutz ungeborener Kinder (SPUC)“ forderte sogar die Exkommunizierung der vier Richter. Eine Sprecherin für Family Solidarity fügte hinzu, die Urteilsbegründung sei völlig unbegreiflich. In Zukunft müsse eine Schwangere einfach behaupten, sie werde sich umbringen, um eine Abtreibungserlaubnis zu bekommen. Dabei ignorieren diese Organisationen freilich die Tatsache, daß die Selbstmordgefahr bei der 14jährigen durch mehrere psychologische Gutachten bestätigt worden war.
Verfassungsrechtler prüfen inzwischen, welche Auswirkungen die Urteilsbegründung haben wird. Verschiedene Experten glauben, die logische Konsequenz sei nun, Abtreibung bei bestimmten Voraussetzungen auch in Irland zu erlauben. Der Journalist Mike Milotte sagte: „Es wäre äußerst ironisch, wenn der Versuch, eine Abtreibung in England zu verhindern, darin resultieren würde, daß Abtreibung in Irland legalisiert wird.“
Bis dahin sei es jedoch noch ein weiter Weg, glaubt Olive Bradon vom Beratungszentrum für vergewaltigte Frauen: „Die Initiative liegt jetzt wieder bei den Politikern“, sagte sie. „Was wir brauchen, sind Gesetze auf der Basis dieses Urteils. Möglicherweise muß dann gar keine neue Volksabstimmung durchgeführt werden.“ Der Oppositionspolitiker Alan Shatter stellte gestern den Antrag auf eine dringende Parlamentsdebatte zu dem Thema.
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