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Immer wieder schön in Plön

■ Die Reiselust der Berliner ist ungebrochen/ Die Urlaubsziele haben sich in den letzten Jahren kaum geändert/ »Ein bißchen Neues, aber nicht zuviel«/ 4.050 Aussteller eröffnen heute ITB

Wer der winterlichen Unwirtlichkeit dieser Vier-Milionen-Stadt entflieht und nach Kairo, Kreta oder auf die Kanaren reist, der wundert sich, daß Berlin bei soviel Abwesenden immer noch im Verkehr erstickt. Plötzlich und unvermutet trifft man sie alle wieder. Die Zeitungsfrau von der Ecke, die immer so griesgrämig guckt, den langweiligen Michael aus dem »Ist der Sozialismus reformierbar?«-Seminar, den Ex-Freund der Mitbewohnerin sowie eine lange verflossen geglaubte Schulfreundin. An jedem Morgen ab fünf Uhr bevölkern sie in Scharen den Flughafen Tegel: Bleichgesichtige und übernächtigte Berliner, überanstrengt und vom Winter gezeichnet, auf der Suche nach ein paar Tagen Sonne, müde mit dem Last-Minute-Ticket winkend.

Besonders kreativ sind sie auf dieser Suche nicht. Die Reiseziele hätten sich in den vergangenen zehn Jahren kaum geändert, ist die einhellige Antwort der Reiseexperten hinter den Ticketschaltern. Im Moment fliegen ein paar mehr nach Ägypten, die Türkei ist nicht mehr ganz so angesagt wie vor drei Jahren, Asien ist immer noch im Kommen, Spanien bleibt ein Dauerbrenner. Auch das USA-Geschäft boomt seit Jahren. Eine Renaissance erlebt seit neuestem Griechenland. »Eine Zeitlang war es out und als teures Pauschalreiseland verschrien; jetzt fahren auch Individualtouristen wieder dort hin«, erzählt Wolfram Hinnenthal von der »Neuen Reisewelle«. Trekking in Nepal ist eher selten.

Um diese Jahreszeit sind seit jeher die sonnensicheren Kanaren angesagt — allen Lästermäulern zum Trotz. Denn das Last-Minute-Angebot für 500 Mark läßt einen auch über die deutschsprachige Ikea-Werbung am Flughafen von Teneriffa großzügig hinwegsehen. Billiger kommt man nicht in die Sonne; außerdem weiß man dort, was man hat. Denn experimentierfreudig sind nur wenige mit ihren abgezählten Urlaubstagen. Auch hartgesottene Backpacker zieht es eher nach Kreta als nach Kuba; Madeira ist den meisten Globetrottern lieber als Madagaskar. »Reisen ist überhaupt nicht revolutionär, sondern eine stinknormale Geschichte«, weiß auch Hinnenthal, obwohl sein Reisebüro vornehmlich selbsternannte »Individualisten« bedient. »Die Leute wollen raus aus der Stadt, sich erholen, mit Gleichgesinnten zusammensein, ein bißchen Neues, aber nicht zuviel.«

Als Fortbewegungsmittel dient zum Verlassen der Stadt den meisten immer noch das eigene Auto. 100.000 Tourenpakete hat der ADAC Berlin im vergangenen Jahr an seine 500.000 Mitglieder verteilt. Die meisten Karten wiesen den Weg in denkbar unspektakuläre deutsche Lande. Nord- und Ostseeküste, Bayern und der Schwarzwald. Doch auch das österreichische Salzkammergut und das Zillertal haben es den Berlinern angetan.

Die Reisewünsche spiegeln Tausende von Kleinanzeigen in diversen Gazetten wieder. Längst in das Berufsleben zurückgekehrte Ex-Aussteiger vermieten ihr »abgelegenes Landhaus« nicht weit von Siena (Ostern in der Toskana ist anscheinend zeitlos...), Singles suchen Mitreisende (insbesondere alleinstehende Mütter), Gruppenreisen suchen Singles, Studenten suchen Mitfahrgelegenheiten. »Ostermeditation im Hochsauerland« wird ebenso offeriert wie Ostern auf Usedom: »Positives Denken und Leben verändert ihren Alltag!« Denen, die sich außerhalb Deutschlands verwirklichen wollen, stehen »Yoga-Ferien an Kretas Südküste« ebenso offen wie »Tanzen, Trommeln und Schnitzen in Ghana«. Einfach nur »fit und schön in Plön« werden hingegen weniger auf Selbsterfahrung Erpichte in 14 Tagen auf einer Beauty-Farm in Schleswig-Holstein.

Immer beliebter sind die kurzentschlossenen Drei-Tages-Trips. Rom, Florenz, London, Prag. Dies habe sicher etwas mit dem Klima in Berlin zu tun, schätzt Almut Kaspar bei TransSportReisen. »Ich glaube, die Leute müssen einfach öfter mal raus als woanders.« Ein Großstadtphänomen sind auch Gruppenreisen. Insbesondere Singles und frustrierte Paare zwischen 25 und 40 schließen sich immer öfter zusammen. So ist man nicht alleine, aber immer noch, zumindest ideell, weit vom berüchtigten Club-Reisenden entfernt.

Doch auch die Clubanbieter verzeichnen einen enormen Zuwachs. Immer mehr Berliner, insbesondere Geschäftsleute suchten in einem Clubdorf nach totaler Erholung, erzählt ein ehemaliger Animateur. »Dort ist man weit weg von fremder Kultur, und es ist trotzdem warm.« Fest steht: Es wird immer mehr gereist. Ansonsten ändert sich wenig. Auf Kreta und Mykonos liegen immer noch die Rucksäcke am Strand, auf Gomera sind nach wie vor die Höhlen bewohnt. Überall gibt es mehr Hotels. Gleichzeitig ist die Costa Brava immer noch ausgebucht. Gewohnheiten sitzen bekanntlich tief. Das spürt auch die Lufthansa. »Die Westdeutschen fliegen nach USA, die Ostdeutschen nach Osteuropa, daran hat sich nichts geändert«, sagt eine Sprecherin. An dieser Erkenntnis des vergangenen Sommers arbeitet jetzt die Marketingabteilung. Denn vor allem ist Tourismus ein Geschäft mit knapp fünf Billionen Mark Jahresumsatz weltweit. 75 Millionen Urlaubsreisen haben Bundesbürger 1991 unternommen.

Ab heute wird der internationale Tourismusmarkt von Berlin aus noch einmal kräftig angekurbelt. Mit 4.050 Ausstellern ist die Internationale Tourismus-Börse auch in diesem Jahr größer als je zuvor. 1993 soll die Ausstellungsfläche erstmals 100.000 Quadratmeter übersteigen. Jeannette Goddar

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