piwik no script img

Wir ersticken im Autoverkehr

■ Gutachten der Umweltverwaltung dokumentiert katastrophale Luftverschmutzung in den Hauptstraßen/ Sofortmaßnahmen gefordert

Berlin. In fast allen Hauptverkehrsstraßen innerhalb des S-Bahn-Ringes ist die Luft so schlecht und der Lärm so laut, daß »umgehend Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und Gesundheit der Anwohner erforderlich sind«. Zu diesem Schluß kommt eine Studie zur ökologischen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz in Auftrag gegeben hat. Der etwa 250 Seiten starke Untersuchungsbericht liegt den Fraktionen im Abgeordnetenhaus und der taz vor.

Auf 70 Prozent des 260 Kilometer langen Hauptverkehrsstraßennetzes innerhalb des S-Bahn-Ringes werde der EG-Leit-(Alarm-)Wert für Stickstoffdioxid von 135 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft überschritten, heißt es in der Untersuchung. Besonders hohe Alarmwertüberschreitungen seien für Abschnitte der Stadtautobahnen, in der Yorckstraße, Kolonnenstraße, Adalbertstraße, Karl-Marx-Straße, Frankfurter Allee, Oranienburger Straße und der Hohenstaufenstraße ermittelt worden. Nach der entsprechenden EG-Richtlinie müßten im Fall der Grenzwertüberschreitungen »sobald wie möglich, spätestens aber bis zum 1. Januar 1994«, Maßnahmen ergriffen werden, die die Einhaltung der Grenzwerte garantieren.

Die Gutachter der »Gesellschaft für Informationsverarbeitung, Verkehrsberatung und angewandte Unternehmensforschung« (IVU) haben ergänzend eine vollständige Lärmkarte für die 260 Kilometer erarbeitet. Bei rund 95 Prozent der Hauptstraßen werde der empfohlene Grenzwert von 65 Dezibel (dB), der für eine akzeptable Sprachverständigung bei geöffneten Fenstern einzuhalten wäre, überschritten.

In nahezu allen Hauptverkehrsstraßen mit Wohnnutzung werde der Nacht-Grenzwert (55 dB), der ein Schlafen ohne wesentliche Beeinträchtigung bei geschlossenen Einfachfenstern ermöglichen soll, ebenfalls nicht eingehalten. Maßnahmen zur Lärmminderung seien »dringend geboten«. Durch das Bundesimmissionsschutzgesetz sei Berlin aufgefordert, einen Lärmminderungsplan zu erarbeiten.

Die Gutachter folgern, daß die schädlichen Umweltwirkungen infolge des Kfz-Verkehrs erfaßt und in behördenverbindliche Maßnahmepläne zusammengestellt werden sollten. Im Rahmen einer Verkehrslärmsanierung gehe es in erster Linie um die Entwicklung rechtlich und finanziell durchführbarer Maßnahmen. Gebiete mit vordringlichem Sanierungsbedarf lägen vor allem zwischen dem S-Bahn-Ring und den beiden City-Bereichen, wo hochbelastete Hauptverkehrsstraßen Wohngebiete durchqueren. Für acht Innenstadtbezirke werden 39 Straßen mit überwiegender Wohnbebauung aufgelistet, die besonders dringend saniert werden sollten.

Ein Teil der Luftschadstoffe würde sich um etwa ein Drittel reduzieren, wenn 60 Prozent aller Personenkraftwagen mit Katalysator ausgerüstet wären. Die Diesel-Partikel ließen sich um ein Viertel senken, wenn der Lkw-Anteil von fünf auf drei Prozent verringert würde. Dirk Wildt

Siehe auch Seite 22

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen