: Zeugungswütiger „Babymacher“
Nur weil die studentischen Samenspender nicht rechtzeitig zum Termin erschienen, will ein US-amerikanischer Gynäkologe über 100 Frauen sein eigenes Sperma injiziert haben.
„Wenn Gott Ihnen kein Kind schenken will, verhelfe ich Ihnen eben dazu“, beruhigte Cecil Jacobsen seine Patientinnen. Am vergangenen Mittwoch wurde der 55jährige Gynäkologe vor dem Schwurgericht in Alexandria im US-Staat Virginia des Betrugs und der Täuschung seiner Patientinnen für schuldig befunden. Er hat zugegeben, etwa einhundert von ihnen ohne deren Wissen mit seinem eigenen Sperma befruchtet zu haben. Jacobsen gilt als Pionier der Reproduktionsmedizin. Er führte als erster in den USA vorgeburtliche Fruchtwasseruntersuchungen zur Feststellung „genetisch bedingter Behinderungen“ des Fötus durch. 1976 eröffnete er seine Privatklinik in Vienna (Virginia) und spezialisierte sich auf die Behandlung ungewollt kinderloser Paare.
Die 86seitige Anklageschrift beschuldigte ihn, von 1976 bis 1988 75 Kinder durch künstliche Befruchtung mit seinem eigenen Samen gezeugt zu haben. Bei 15 Kindern gilt seine Vaterschaft inzwischen durch genetische Tests als erwiesen. Der Angeklagte sagte aus, der erste Fall dieser Art sei in einer „Notlage“ entstanden: 1972, als er noch Assistenz- Professor an der George-Washington-Klinik für reproduktive Genetik war, sei ein studentischer Samenspender nicht rechtzeitig zum Befruchtungstermin erschienen. „Als der Samen nicht auftauchte, hatten wir die Patientin gerade zur Befruchtung fertig“, erinnerte er sich, „so verwendete ich mein eigenes Sperma.“ Die Frauen, denen er später sein Sperma injizierte, ließ er in dem Glauben, der 2.000 Dollar teure Samen stamme von Medizinstudenten. Die „anonymen Samenspender“ sollten den Ehemännern „möglichst ähnlich sein“ und wurden vorgeblich „sorgfältig“ nach Kriterien wie „Augen- und Haarfarbe und Religion (!)“ ausgewählt.
Ein früherer Laborassistent Jacobsens sagte dagegen aus, eine Samenbank habe niemals bestanden, der Doktor sei oft „vor der Sprechstunde ins Bad gegangen, um das Fläschchen zu füllen“. Jacobsen, der sich vor Patientinnen als „Babymacher“ rühmte, sieht keine ethischen und medizinischen Bedenken bei seinem Vorgehen. „Frischer Samen ist erfolgreicher als tiefgefrorener“, rechtfertigte er seine Taten, und „mein Sperma ist frei von Aids und anderen Krankheiten gewesen. Schließlich schlafe ich seit 35 Jahren nur mit meiner Ehefrau, mit der ich sieben gesunde Kinder gezeugt habe.“
Robert Hall, Anwalt von elf Elternpaaren, die im Prozeß gegen Jacobsen unter Pseudonym aussagten, um ihre Privatsphäre zu schützen, meinte: „Die Kinder sehen Jacobsen sehr ähnlich, doch es dauerte sehr lange, bis die Patientinnen ihren Verdacht nicht mehr abblockten.“ Jacobsen galt als „Fruchtbarkeitsexperte der Region Washington“, als „religiöser, sehr verständnisvoller Mann“ beschrieben ihn zufriedene Patientinnen.
Jährlich versuchen in den USA mehr als 100.000 Frauen, durch künstliche Befruchtung von anonymen Samenspendern zum Mutterglück zu gelangen. Jacobsen ist sicher nicht der einzige, der selbst Hand anlegte: In einer Umfrage gaben 1987 zwei Prozent der Reproduktionsmediziner zu, daß sie ihr eigenes Ejakulat verwendet hatten. Eine Praxis, die gesetzlich nicht eindeutig verboten ist. In den USA hat der Prozeß zu einer Diskussion über die „sich selbst kontrollierende Wachstumsbranche Fruchtbarkeitsindustrie“ geführt. „Es herrscht ein fruchtbares Klima für alle, die Profite daraus ziehen wollen“, sagte der republikanische Abgeordnete Ron Byden aus Oregon, der ein Gesetz zur Reglementierung der landesweit über 200 „Fruchtbarkeitskliniken“ unterstützt.
Neben der betrügerischen Kinderzeugung wurde Jacobsen für schuldig befunden, Dutzenden von Patientinnen Hormonspritzen gegeben zu haben, die eine Schwangerschaft vortäuschten. Dann führte er mit den Frauen Ultraschalluntersuchungen durch und zeigte ihnen angebliche fötale Herztöne. Deborah Gregory, eine der Zeuginnen, sagte aus, während ihrer dritten vorgeblichen Schwangerschaft habe Jacobsen ein Ultraschallbild gemacht und gesagt: „Hier sehen Sie den Arm Ihres Babys, es lutscht gerade am Daumen.“ Wochen später erzählte Jacobsen den Frauen, sie hätten eine Fehlgeburt erlitten und bedürften weiterer Tests und Behandlungen. Einige der Frauen unterzogen sich bis zu acht solcher „Therapien“, für die Jacobsen jeweils bis zu 5.000 Dollar kassierte.
Laut Anklageschrift suchte Jacobsen seine Praktiken zu verdecken, indem er seine Patientinnen davor warnte, andere Gynäkologen zu konsultieren, da „deren Tests den Fötus gefährden oder sogar töten könnten“. Eine „emotionale Hölle“ für die Frauen, nannte der Staatsanwalt Randy Bellows diese Vorgänge.
Nachdem die Geschworenen — acht Frauen und vier Männer — Jacobsen in 52 Anklagepunkten für schuldig befunden haben, drohen ihm nun bis zu 285 Jahre Gefängnis und eine halbe Million Geldstrafe. Das Strafmaß soll am 8. Mai verkündet werden. Ingrid Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen