Interview mit einem Kannibalen

■ „0137-Spezial“, 19.30 Uhr, premiere (ohne Decoder über Kabel zu empfangen)

Er sieht nicht gerade aus wie der Traum aller Schwiegermütter, aber des Verbrechens, das er vor gut zehn Jahren begangen hat, mag man ihn auch kaum für fähig halten. Der Mann heißt Issei Sagawa, ist japanischer Staatsbürger, 44 Jahre alt und 148 Zentimeter groß. 1981 hat er in Paris eine holländische Bekannte ermordet, um anschließend Teile der Leiche zu essen. Nach der Festnahme für nicht zurechnungsfähig erklärt, wurde Sagawa nach zwei Jahren in einer psychiatrischen Anstalt nach Japan überstellt, wo er bereits nach einem weiteren Jahr ärztlicher Behandlung als geheilt entlassen wurde (ein Umstand, an dem der Einfluß seines Vaters, eines der reichsten Männer Japans, wohl beteiligt gewesen ist). Seitdem hat Issei Sagawa drei Bücher über seine Tat verfaßt, die in Japan zu Bestsellern avancierten. Seine Bereitschaft, sich einem Interview zu stellen, steht nach Auskunft der premiere-Verantwortlichen weder in irgendeinem PR-Kontext für seine (in Deutschland nicht erhältlichen) Bücher, noch hat er ein Honorar erhalten.

Nichtsdestotrotz riecht das Aufgreifen eines der letzten gesellschaftlichen Tabuthemen gehörig nach der Sensationslüsternheit eines privaten Fernsehsenders. Und zweifellos wird die Sendung vielerorts wieder einmal die bewährte Frage aufkommen lassen: Darf man das? Soll man das? Aber schließlich wurde nicht nur der Amerikaner Jeffrey Dahmer, begleitet von einem enormen Medienrummel, unlängst für 16 kannibalistische Morde zu rund 300 Jahren Gefängnis verurteilt, und der Beißer-Film Das Schweigen der Lämmer kann sich berechtigte Hoffnungen auf ein paar Oscars machen.

Wie auch immer, das Gespräch mit jenem Issei Sagawa ist in seiner Gratwanderung zwischen Sensation und redlichem Journalismus zweifellos ein brisantes Stück TV. Daß man dabei auch als Zuschauer — so man nicht zu den ganz Abgestumpften im Lande gehört — ins Schwitzen kommt, verdankt sich in erster Linie den Qualitäten des Interviewers Roger Willemsen. Auch wenn jener Issei Sagawa sich bei den Erklärungsversuchen für seine Tat in alle möglichen Widersprüche verstrickt, gelingt es Willemsen eine halbe Stunde lang, der distanzierte Fragesteller zu bleiben, sich weder in ein „Gespräch“ verwickeln zu lassen noch der Versuchung zu erliegen, die Tat von irgendeiner, um billiges Verständnis buhlenden, (vulgär)-psychologischen Warte aus zu kommentieren. Und diese konzentrierte Zurückhaltung macht ihm im deutschen Fernsehen in einer vergleichbaren Situation so leicht keiner nach. Reinhard Lüke