: „Gesucht wird berufstätiges Fräulein, seriös“
Unsere Korrespondentin lernte die Ehebetten der 20er und den Gilb der 50er-Jahre-Tapeten kennen — als Untermieterin ■ Aus Madrid Antje Bauer
„Fonda Diana“ stand draußen am Portal, „Viajeros y Estables“, Reisende und Dauergäste. Zwei düstere, knarrende Holztreppen hoch, klingeln, Schlüssel wurden nicht ausgegeben. Ein großes, butterweiches Bett mit Madonnenbild darüber, Holzstuhl, Tisch und Waschbecken kostete 15 DM am Tag, Duschen 2,50 DM extra. Im Zimmer gegenüber lebte seit zehn Jahren ein Syrer, der sonntags im Retiropark auf einem Tapeziertisch Bijouterien verkaufte. Daneben hatte sich eine junge Dame eingerichtet, die des Abends in enganliegendem Pullover und Stöckelschuhen, die Handtasche unter den Arm geklemmt, in Richtung Rotlichtviertel zog. Die Wirtin war freundlich und fürsorglich und achtete darauf, daß niemand Besuch mit aufs Zimmer nahm.
Nach ein paar Wochen des Eingewöhnens wurde ich die Enge der Fonda und das nächtliche Röcheln meines Nachbarn leid und begann, eine andere Bleibe zu suchen. Die Immobilienanzeigen des 'Segunda Mano‘, der 'Zweiten Hand‘ von Madrid, schreckten mich schnell ab. Ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, leer, 1.000 DM Miete plus Agenturhonorar plus zwei Monatsmieten Kaution, hieß das günstigste Angebot, darüberhinaus wurden eine Einkommensbescheinigung sowie ein Bürge gefordert.
Bezahlbarer schienen da schon die Angebote zum Mitwohnen. „Gesucht wird berufstätiges Fräulein“, lautete eine davon, „für gut eingerichtetes Einzelzimmer im Stadtzentrum, 600 DM, Seriosität“. Das gut eingerichtete Zimmer bestand aus 12 Quadratmetern mit Blick auf einen dunklen Innenhof. Mit Mühe hatten hier eine Liege, ein Schreibtisch und ein Regal Platz. Die Vermieterin war ein flotte Mittdreißigerin. „Es darf kein Besuch mitgebracht werden“, erklärte sie in mein Zögern hinein. „Auch keine Frauen und auch nicht tags. Ich will hier keine Unruhe.“ Der gleichen Art Seriosität begegnete ich häufiger in den folgenden Tagen der Wohnungssuche, in den dunklen, engen Zimmern mit vergilbten Tapeten aus den fünfziger Jahren und Ehebetten aus den Zwanzigern. Schließlich zog ich zu Francisco.
Francisco war Anfang Fünfzig, Anarchist. Im Frankismus war er zum Tode verurteilt worden und hatte eine erkleckliche Anzahl von Jahren im Knast verbracht. Jetzt sei er Journalist, versicherte er. Für knapp 500 DM im Monat nannte ich nun ein großes Zimmer mein eigen, einen auseinanderfallenden Holzschrank, einen Schreibtisch aus Preßspan, einen zerfledderten Plastiksessel und ein riesiges, vergilbtes Kinoposter, das einen Riß in der Wand verkleidete. Die Küchenausrüstung bestand aus einer Reihe angeknackster Teller, verbogener Besteckteile aus Blech und verbeulten Kochtöpfen. Als ich mein Zimmer in der Fonda Diana aufgegeben und Koffer und Schreibmaschine in der neuen Bleibe abgestellt hatte, hieß mich Francisco ein mehrseitiges Papier unterzeichnen. Darin verpflichtete ich mich, anderen Mitbewohnern keine Nahrungsmittel zu entwenden, kein Küchengerät im Zimmer zu behalten, keine Möbel an die anderen Mieter zu verleihen. Ansonsten müsse ich „dem Kleineigentümer“ Ersatz leisten. Wohl zur Ermutigung hatte Francisco bei der Besichtigung der Wohnung durchblicken lassen, er selbst benutze die Wohnung nur zum Arbeiten. Tatsächlich war in seinem vollgestellten Zimmer kein Bett zu sehen. Bis der Abend kam. Da zog Francisco die Liege herein, die er auf dem Balkon abzustellen pflegte und wohnte nun eben doch da. Außer Francisco lebten dort noch der Student Felix und Maxi, ein schwuler Tänzer aus Argentinien. Wenn wir abends in der Küche ratschten, drehte Francisco in unseren Zimmern das Licht aus. Wenn wir morgens aus der Dusche kamen, ging Francisco kontrollieren, ob wir die Butanflasche verschlossen hatten. Tagelang sperrte er sich in seinem Zimmer ein und ließ sich von der Glotze volldröhnen — er lebte von unserer Miete, das war klar.
Mit Felix kam Francisco gut klar, obwohl der ein Rechter war. Maxi jedoch ekelte er bald hinaus, zumal der Tänzer mit den Mietzahlungen in Verzug geraten war. Nachfolger wurde der irakische Student Hamid, der auch bald Franciscos Wut auf sich zog. Wir mußten eine Zusatzklausel unterschreiben, wonach das dreimalige Vergessen des Verschließens der Butangasflasche den sofortigen Hinauswurf nach sich zöge, Francisco beschuldigte Hamid, einen Kopfkissenbezug geklaut zu haben und holte schließlich die Polizei. Zum Monatsende zogen wir alle drei aus und ließen Francisco mit seiner großen Wut allein.
Die beiden anderen zogen das große Los: Sie fanden eine Altbauwohnung mit zwei winzigen Zimmern und einem winzigen Salon, ohne Sonne zwar und ohne Heizung, aber für nur 1.000 DM. Auch ich verbesserte mich: In der Wohnung der Buchhändlerin Trinidad bewohnte ich ein Zimmer mit Rüschengardinen und Auslegeteppich und durfte den gardinenverhangenen Salon voller Zimmerpflanzen und Kristall in der Vitrine mitbenutzen. Das ging drei Monate gut, bis eines Nachts ein deutscher Bekannter dablieb und morgens um fünf die Wohnungseigentümerin, die direkt daneben lebte, empört gegen die Wand hämmerte, weil um diese Zeit immer noch gesprochen wurde. Am nächsten Tag bekam die Dame — eine ehemalige Prostituierte, die im Alter bigott geworden war — einen moralischen Tobsuchtsanfall, und am Monatsende schob sie die Kündigung durch die Türritze. Trinidad und ich mußten uns eine neue Wohnung suchen. Aber damit beginnt schon das nächste Kapitel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen