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Elf Jahre Haft für RAF-Aussteiger Lotze

Bundesanwaltschaft und Verteidiger zufrieden mit der Anwendung der Kronzeugenregelung/ Werner Lotze will die öffentliche Auseinandersetzung über die „inhumane Praxis der RAF“ fortsetzen  ■ Aus München Bernd Siegler

„Es ging uns um Menschlichkeit. Wir haben gemeint, dafür auch mit letzter Konsequenz einzutreten, und haben bis zur letzten Konsequenz das Gegenteil getan.“ Mit tränenerstickter Stimme versuchte der 40jährige RAF-Aussteiger Werner Lotze am Dienstag dem 6. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landgerichts seinen Bruch mit der Vergangenheit deutlich zu machen. Unter Zubilligung der Kronzeugenregelung verurteilte ihn das Gericht am gleichen Tag wegen eines zwölf Jahre zurückliegenden vollendeten Mordes, dreifachen Mordversuchs und zweifacher räuberischer Erpressung zu einer Gesamtstrafe von elf Jahren.

Frühestens Weihnachten 1995 wird der Vater einer neunjährigen Tochter auf freiem Fuß sein. Anfang Januar 1991 war Lotze in erster Instanz zu zwölf Jahren verurteilt worden. Der BGH hat Lotze schließlich vom Vorwurf eines Mordversuchs rechtskräftig freigesprochen und den Fall zur Festsetzung einer neuen Gesamtsstrafe erneut an das Münchner Gericht verwiesen.

Lotze ist im Juni 1990 in der DDR festgenommen worden. Nach dem fehlgeschlagenen Anschlag auf den Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig in Brüssel war er im Oktober 1979 aus der RAF ausgestiegen und hatte seit 1980 mit seiner Freundin in der DDR gelebt. Nach seiner Festnahme packte Lotze über seine Vergangenheit aus. Gegenüber den Ermittlungsbehörden machte er klar, daß es ihm nicht um eine milde Strafe im Sinne der Kronzeugenregelung gehe. „Ich wollte einen Schlußstrich unter meine Vergangenheit ziehen, vor allem im Hinblick auf meine Tochter.“

Seine Tochter Jenny war 1982 geboren worden. Immer wenn die Rede auf seine Familie kommt, stockt Lotzes Stimme. „Seine Tränen sind echt“, stellte später der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Klaus Pflieger, in seinem Plädoyer fest.

Bei seinen umfassenden Aussagen im Sommer 1990 schonte Lotze weder sich noch seine früheren Mitkämpfer. Er belastete sich selbst mit einem Polizistenmord in Dortmund, einem Banküberfall in Darmstadt und einer maßgeblichen Rolle beim Haig-Attentat. Im Zeugenstand bekundete Bundesanwalt Wolfgang Pfaff, wie „atemberaubend“ Lotzes Geständnis im Fall Haig auf die oberste Ermittlungsbehörde gewirkt hatte. „Wir kamen von einem Erkenntnisstand Null zur vollen Aufklärung“, verdeutlichte Pfaff, für den Lotzes Aussagen „weit mehr als ein Geständnis“ waren. Der RAF- Aussteiger habe vielmehr eine „Aussagewelle“ unter ehemaligen RAF- Mitgliedern losgetreten und durch seine Aussagen und Interviews das „strukturelle Gesamtgefüge und die ideologischen Grundpfeiler der RAF erheblich erschüttert“.

Für Pfaff, derzeit abgeordnet als Leiter der Verfassungsschutzabteilung im Innenministerium von Brandenburg, ist es „eindeutig“, daß die Akzeptanz der RAF nach 1990 in ganz entscheidendem Maße nachgelassen habe. Das sei Lotzes Verdienst. Man könne feststellen, daß sich alle RAF-Ebenen nach den Aussagen der RAF-Aussteiger „stark zurückgezogen“ hätten.

„Wenn einer die Kronzeugenregelung verdient, dann Lotze“, unterstrich Bundesanwalt Pflieger Pfaffs Ausführungen. Pflieger würdigte in seinem Plädoyer Lotzes Beitrag „zur mittelbaren Terrorismusbekämpfung“ und sprach sich für eine großzügige Anwendung der Kronzeugenregelung aus. Er forderte für Lotze eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren. Auch Lotzes Verteidiger, Rechtsanwalt Dieter Hoffmann aus Berlin, pries die Vorzüge der Kronzeugenregelung als einen „Fortschritt des Strafrechts“. Sie entbinde das Gericht „von der Pflicht, Lotze zu Lebenslänglich verurteilen zu müssen“. Nicht mehr Schuld und Sühne stünden im Mittelpunkt, sondern erstmals die Straftatenverhütung. Hoffmann, früher vehementer Gegner der Kronzeugenregelung, hält nur noch deren Beschränkung auf Terroristen für kritikwürdig.

Der 6. Strafsenat schloß sich bei der Gesamtstrafenbildung der Bundesanwaltschaft an und betonte im Einklang mit Pflieger, daß Lotze nach Verbüßung der Halbstrafe entlassen werde. Hoffmann und Pflieger verzichteten auf Rechtsmittel gegen das Urteil. In seinem Schlußwort kündigte Lotze an, daß er die öffentliche Diskussion über die „inhumane Praxis der RAF“ fortsetzen werde: „Wenn es so etwas wie eine Verpflichtung aus dem, was in Dortmund geschehen ist, gibt, dann ist es die, die Auseinandersetzung, die ich mit meinem Verhalten angefangen habe, fortzusetzen.“

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