: Trinkgelder
■ „Stage Art“ in Frankfurt:Billigvermarktung der (Klein-)Kunst
Fatima“, eine türkische Bauchtanzgruppe, zeigt auf der ersten Frankfurter Messe für Theater und Tanz in ihrer winzigen Messekoje Bauchtanz auf Video — wie bei fast jedem der 140 Aussteller. Mehr Platz als für einen Fernsehapparat bieten die kleinen Stände der „Stage Art“ nicht. Da es im Theater dunkel ist, reproduzieren die Videos den Schemen nur, Geisterbilder, einen Lichtfleck. Die Koje selbst dagegen ist stilecht: Oma, Opa und Schwiegersohn sitzen im kleinen, nachgebauten deutsch-türkischen Wohnzimmer vor einem großen Fernseher in großen Ohrensesseln, betrachten „Fatima“ — und die Kundschaft möge sich bitte dazusetzen, wie im Orient üblich.
Vom Stand „Fatima“ ließe sich Prinzipielles lernen: daß Tanz und Theater nicht billig sind. Bauchtänzerinnen werden nur Geldnoten höheren Werts zugesteckt (Zehnmarkscheine sind ein absolutes No-no) — der Videokasten entbindet von dieser Pflicht. „Live“ wird sich das „Trinkgeld“ (oft mehr als tausend Mark) zur Mietgebühr noch hinzuaddieren. Damit ist Bauchtanz die wohl einzige Theaterform, die unmittelbar von Geld handelt — von wippenden Scheinen am Busen derTänzerin.
Bauchtänzerinnen aber kann man an jeder Ecke mieten. Daß „Fatima“ die einzige ihrer Art auf der Messe ist, verwundert. Heißt das geringe Akzeptanz unter den Ausstellern? Dennoch ist die Zielrichtung der „Stage Art“ damit vorgegeben: Nur ein Konkurrenzprogramm von Bauchtänzerinnen, Zauberern, Jongleuren macht sie lebendig — aber mit dem realen Thatermarkt rezensierbarer Kunstereignisse hat das wenig zu tun.
140 Aussteller aus 13 Ländern suchen auf der „Stage Art“ entsprechend das Geld, aber keine ästhetische Auseinandersetzung. Es ist ein geschlossenes Feld der Agenturen und Promotoren, die erstmals versuchen, das Theater als Messe zu Markte zu tragen — nicht als Festival. „Es ist ein Versuchsballon“, wie Anja Diete von der Messe Frankfurt sagt, ein Beiboot zur umsatzstarken und ungleich quirligeren Musikmesse nebenan. Hier werden Künstler verkauft, drüben ihre Instrumente.
Die „Stage Art“ ist kein Showpanoptikum. Sie ähnelt mehr der Buchmesse in Pocketsize. Still ist es. Da läuft ein Kostüm über den Flur. Doch ein geschminktes Gesicht macht noch kein Theater. Mühsam werden in kleinen Messesälen ringsum Ausschnitte aus dem Angebot auf die Bühne gehoben. Aber es hapert, muß hapern. Erbärmlich wird mit ein paar Lämpchen ein Szenchen aus einem Stück ausgegraben. Zum Einleuchten ist keine Zeit. Wer dennoch darauf besteht, muß seine Aufführungszeit verkürzen.
Ein paar Mädels üben eine Schrittfolge ohne Kostüm, ohne die Intimität der Probe. Das Publikum raucht, schaut ihnen mitleidig zu, in der Haltung einer Audition, die den Daumen nach unten senken wird. Es ist — in dieser Form — für Künstler entwürdigend.
Wirkliche Thaterkünstler sind auf der Messe nur über Gemeinschaftsstände vertreten, etwa der Japan-Delegation oder dem Niederländisch- Flämischen Theaterinstitut; ihnen folgen die Stände der alternativen Tourneeagenturen, etwa einer „Agentur für Atemberaubende Aktente“ oder „die andere MusikagenTour“, die auch nur anbieten können, was sie gerade bekommen: Kleinkünstler, Kabarettisten, Musikbands für jeden Anlaß. Den freien Thatergruppen dagegen liegt die Messe am meisten — etwa „Titanick“ aus Münster oder ein Tanztheater Oberlinden aus Freiburg. Sie hoffen, gerade mangels von Mitbewerbern, auf ein paar Gastspielmöglichkeiten mehr im zukünftigen Tourneeplan. Zurecht, wie schon am ersten Tage deutlich wurde. Theatergruppen zum Anfassen, freie Schauspieler in Jackett und Krawatte, die den Ruch des Dilettantismus ablegen: Von ihnen läßt sich die Kundschaft aus Verkehrsämtern und Kulturzentren am leichtesten verführen. Professionelle Agenten fehlen.
Theatergruppen, die man noch nicht kennt, deren Existenz man aber mit einem angenehmen Erstaunen zur Kenntnis nehmen würde, sind so nicht auszumachen — trotz eines Marathons von 124 Ausschnitt-Inszenierungen und Abendvorstellungen quer durch die Frankfurter Theaterhäuser und dies binnen fünf kurzer Tage.Anders als bei einem Festival wie dem in Avignon beispielsweise, das in erster Linie Aufführungen zeigt und den Geschäftsvorgang, das Einkaufen der Gruppen, hinter den Kulissen erledigt, ist es hier umgekehrt. Man sieht Häppchen, das Geschäft mit ihnen floriert. Die Stille der Kongreßhalle ist unheimlich — die schlechten Videos laufen als Stummfilm; überall zappeln ähnlich aussehende Komödianten, läuft ein Marionettenspiel. Aus diesem verstümmelten Material werden die Kaufentscheidungen entwickelt und nicht aus dem guten Namen einer Gruppe, sondern allein aus der Buntheit der Bilder und Prospekte.
Um den Preis wird später gefeilscht. Die Armut der Messekojen macht dem geübten Einkaufsauge schnell deutlich, wie weit er den Preis herunterschrauben kann — sehr tief, drittklassige Waren, geeignet für den schnellen Konsum auf einem Betriebsfest oder einer Stadthalle in der Provinz.
Eine Marktlücke also: Das mißachteste Theater, die Klein- und Kleinstkunst, hat ihren Umschlagplatz gefunden, unter Bedingungen, die nichts mit der Achtung der jeweiligen artistischen Leistung zu tun haben. Die Aussteller sagen dennoch: Wir akzeptieren. Arnd Wesemann
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