: Durch Flora und Fauna
■ »Der kleine Tierfreund« inkl. Kreidler Florett im Quartier
Ungeduscht tritt die Ricke hinaus auf die Lichtung. Verhoffend schiebt sie das Geäse in den Wind, doch sie riecht nur ihren eigenen Achselschweiß und fühlt sich sicher — den Waidmann mit der Donnerbüchse wird sie nicht gewahr. Nur einen Wimpernschlag später verläßt eine ordentliche Ladung Rehposten Nr.1 die Schrotspritze des Grünrocks, streift ein neugieriges Eichhörnchen am Fichtenstamm und fliegt weiter Richtung Ricke. Das letzte, was unser ungeduschtes Schalentier zu Gesicht bekommt, ist ein Quadratmeter Blei, der sich rasch nähert. Wieder ist ein Tier Opfer mangelnder Körperpflege geworden.«
Liebevoll wie Heinz Sielmann beobachtet Dietmar Wischmeyer alias Der kleine Tierfreund die putzigen Bewohner der heimischen Fauna, rasiermesserscharf wie Bernhard Grzimek analysiert er das Tun und Treiben im Flur. Zu diesem Unterfangen dröhnt er mit seiner Kreidler Florett, einem unter 50er-Fahrern kultisch verehrten Zweitakter, durch die Wälder, an nebligen Morgen über Müllhalden und zum »Flugplatz der Schmeißfliegen«. Wenn er so »durch die Auen schnürt«, entwickelt der Tierfreund ein schon fast Freudsches Verhältnis zum Objekt seiner Begierde. Im Taumel der Wollust (so der Titel der letzten Platte) verliert sich Wischmeyer auf so virtuose Weise, daß wir unbedingt die Wiedereinrichtung aller Tier- und verwandter Sendungen im öffentlich- rechtlichen TV fordern müssen.
Arthur Schnitzer in seinem Hobbykeller ist das Alter ego des kleinen Tierfreundes. Er sorgt dafür, daß die Überreste der »gemischten Fauna« nicht ungenutzt vergammeln. Was soll man mit den gebrauchten Meerschweinchen anstellen, die regelmäßig anfallen? Mit wenigen Handgriffen können die »Heimwerkers draußen an den Schwingschleifern und Kreissägen« die abgenutzten Schweinchen in Klobürsten oder »eine repräsentative Raubtiergruppe für den Beistelltisch« umbauen.
Dietmar Wischmeyer trägt seine kurzen Ausflüge in die Tierwelt im RIAS2-Radio vor (jeden Samstag zwischen 9 und 12 Uhr, d. Red.) und hat eine süchtige Anhängerschaft. Manchmal kann es durchaus passieren, daß eine Partygesellschaft in ein durch ständiges Kichern unterbrochenes Schweigen verfällt, weil jemand die falsche Kassette erwischt hat. Es ist schwer, sich den leicht sauerländisch akzentuierten Erinnerungen an die Kinderzeiten zu entziehen. Damals, als wir mit großen Kulleraugen dem sanften Timbre der Tieronkels lauschten und — lange bevor wir unsere eigene Sexualität entdeckten — in das Balzverhalten sämtlicher Tiere des bekannten Universums eingeführt wurden.
Den kleinen Tierfreund live zu erleben ist eine Pflicht, schon um eines der letzten Exemplare der Kreidler Florett zu bewundern, die leider vom Aussterben bedroht ist. »Die Kreidler gehört zur großen Familie der Zweitakter und nistet hauptsächlich im deutschsprachigen Siedlungsraum. Meist krönt sogar ein stattlicher Lenker die vordere Gabel. Seine Lieblingsbeute sind die Mofas.« Es ist klar, daß für den kleinen Tierfreund ein solches stattliches Gefährt das einzig angemessene ist. »Denn was gibt es Schöneres, als mit einer hübschen Kreidler Florett durch das bunte Blättermeer des Herbstwaldes zu brummen?« Thomas Winkler
Nur noch heute, 20 Uhr im Quartier, Potsdamer Straße 96. Zugang allenfalls noch durch rechtzeitiges Anstehen auf zurückgegebene Karten an der Abendkasse.
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