piwik no script img

Revue mit tragischem Ausgang

■ »Edith Piaf — Ich bereue nichts« — Das KAMA-Theater läßt das Leben der Edith Piaf musikalisch Revue passieren

Es gibt Lebensläufe, die in dermaßen rasanten Schüben verlaufen, daß sie nicht nur für deren Besitzer höchst anstrengend sind, sondern auch für die posthumen Biographen. Das Leben der Piaf — es dauerte nur 47 heftig gelebte Jahre — ist so ein prall gefülltes Dasein; und früher oder später mußte jemand auf die Idee kommen, diese Vita für das Theater spielbar zu machen. Joachim Nottke, Autor der Piaf-Revue Ich bereue nichts, kam über die Beschäftigung mit Jean Cocteau zu Edith Piaf. Die ungleichen Freunde, die so vieles verband, starben in der gleichen Nacht, wurden beide am 14. Oktober 1963 auf dem Friedhof Per Lachaise beigesetzt. Aus dieser Perspektive des unabänderlichen Endpunktes beginnt Nottkes musikalische Revue über das legendäre Leben der Piaf, die aus der Pariser Gosse kam und mit ihrer einzigartigen Stimme die Welt eroberte.

Arm in Arm stehen Edith Piaf und Jean Cocteau an ihrem eigenen Grab und lassen die Jahre Revue passieren, die von der Vorstellung bestimmt waren, daß der Zustand des Schlafens »Zeit verlieren bedeutet«. Die frühen Jahre der jungen Edith Gassion, die sie singend auf der Straße verbrachte, ziehen im Zeitraffer vorüber. Schemenhaft taucht Vater Louis-Alphons auf, der seine kleine Edith zwar sehr liebte, sie aber trotzdem arg vernachlässigte; dann die Stiefmutter, eine erste Liebe, die Straße, das Elend... Ihr Leben sei »wie in einer schlechten Revue« gewesen, läßt Joachim Nottke die Piaf sagen. Männer kommen, Männer gehen. Nichts hat Bestand außer dieser Stimme, dieser Frau.

Im KAMA-Theater geht es auf der multifunktionalen Laufsteg-Bühne von Gregor Köhne zu wie bei einer Modenschau. Auftritten von links folgen solche von rechts, Menschen ziehen in Massen vorüber, präsentieren ihren Part im Leben der Piaf — meist ist es ein kleiner — und müssen sich, kaum aufgetreten, schon sputen, um nicht von dem drängenden Tempo der Ereignisse überrollt zu werden. In dieser Hektik ist es schwer, so etwas wie einen roten Faden zu spinnen, aus den vielen Rollen mehr herauszuholen als nur einen zitathaften Hinweis auf die historischen Personen. Yves Montand, Charles Aznavour, Marlene Dietrich, der Boxchamp und Piaf-Gatte Cerdan, ihr früher Gönner und Entdecker Louis Leple — sie alle tauchen auf im Leben der Piaf, haben ihre Rolle gespielt in diesem Leben, das eine Revue mit tragischem Ausgang ist.

Die KAMA-Truppe bewältigt den aufoktroyierten Rollen-Marathon mit aller gebotenen professionellen Klasse. Claudio Maniscalco, der in dieser Produktion erstmals seit seinem Dienstantritt als KAMA-Chef auf der hauseigenen Bühne steht, zeigt die gesamte Bandbreite seines Könnens: Seine Darstellung des Paul Meurisse, der kokett vorgetragene Gassenhauer C'est si bon, ist großartig komisch, ohne lächerlich zu sein. Sein hingebungsvoll liebender Theo Sarapo, das Schlußduett mit der Piaf- Darstellerin Katja Nottke, zerreißen die Herzen des Publikums und gehören damit zu den wenigen Momenten, in denen abseits des hektischen Auf und Ab der Chronologie wirklich Stimmung erzeugt wird. Neben Anna Bolke als junge Piaf vermag noch Sabine Schwarzlose als Marlene zu überzeugen. Lange muß sie die Dietrich und ihre Eigenarten studiert haben, denn mit einer angemessenen Portion Ironie hat sie diese Über-Diva ausgesprochen gut im Griff.

Der Star des Abends ist allerdings Katja Nottke als Edith Piaf. Gesanglich wie darstellerisch zeigt die Künstlerische Leiterin des KAMA hier authentisches Theater, von der Sorte, das spürbar unter die Haut geht. Die Metamorphose der Piaf von einem lebenstollen Energiebündel zur gebrochenen Morphinistin kann wohl kaum besser entwickelt werden, und ihre Interpretationen von La vie en rose oder Milord stehen den Originalen in nichts nach. Als stünde hier wirklich der »Spatz von Paris« auf der Bühne, verleiht sie dem Abend die Dichte, die dem Stück ansonsten fehlt.

Vielleicht mangelte es der Regisseurin Katja Nottke an der nötigen Respektlosigkeit, sich von der Chronik dieses beeindruckenden und hektischen Lebens zu lösen. Denn das Stück von Joachim Nottke hätte sicher den ein oder anderen Strich vertragen. Viele Randfiguren, kleinen Szenen und Episoden sind lediglich der Historie verpflichtet oder sollen den erzählerischen Anschluß sichern. Sie wären durchaus verzichtbar, bliebe dann doch mehr Zeit, die wirklich tragischen Momente im Leben der Piaf auszuspielen. Zugegeben, da gibt der Text nicht viel her, die Inszenierung fügt dem Wenigen aber auch nichts hinzu. Die Morphiumsucht der Piaf, ihr langsamer Verfall, das sich immer schneller drehende Karussell von Alkohol, Drogen, Krankheit, von Entziehungskur, neuer Hoffnung und neuer Liebe, hat kaum Raum in dem Zweistundenmarathon »Piaf-Revue«. Kaum ist unterscheidbar, wer im Leben der Piaf wirklich wichtig war — jeder? Niemand? Welche dieser vielen Männer war nur Futter? Viele, alle?

Es gibt eben Lebensläufe, die verlaufen in dermaßen rasanten Schüben, daß sie nicht nur für deren Besitzer höchst anstrengend sind, sondern auch eine Aufgabe für die posthumen Biographen. Ich bereue nichts ist nicht unbedingt die gelungenste Piaf- Biographie, sicher aber eine wunderbare Revue. Denn die hinreißend dargebotenen Chansons sind, für sich genommen, ausgesprochen hörenswert. Die Band unter der Leitung von Stefan Vinzberg und mit dem virtuosen Akkordeonspieler Ekki Busch (bekannt als Keyboarder und Sänger der »Benjamins«) ebenfalls. Und schließlich: War das Leben der Piaf nicht vor allem Musik? Klaudia Brunst

Die Piaf-Revue Mi bis So um 20 Uhr im KAMA-Theater Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen