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„Eine ungemein glückliche Ehe“

Die aus Spanien vertriebenen Juden fanden im Osmanischen Reich eine neue Heimat/ Das friedliche Miteinander von Türken und Juden dauert bis heute an/ Antisemitismus ist fester Bestandteil der Programmatik der islamischen Fundamendalisten  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Die beiden alten Männer haben Stunden mit orientalischer Lässigkeit in dem Teehaus am Bosporus ausgeharrt. Ununterbrochen erzählt Nesim vom letzten Spiel der Istanbuler Fußballmannschaft „Beykoz“, einer Mannschaft in der dritten Liga. Doch nun blickt er auf die Uhr, wendet sich Jak zu und spricht einen kurzen Satz. Doch nicht Türkisch, sondern in sonderbarem Spanisch. „Was hast du gesagt?“, fragen wir Nesim. „Es ist Zeit zum Aufbruch. Wir müssen in die Synagoge zum Gebet.“

Die überwältigende Mehrheit der Juden in der Türkei sind Nachkommen derjenigen, die Ende des 15.Jahrhunderts von der iberischen Halbinsel vertrieben wurden. Ihre Nachnamen geben häufig Auskunft über ihre Herkunft: Aragona, Cordoba, Sevilla. Die Erinnerung an den Terror in Spanien, an Inquisition und Pogrome ist immer noch in den Gedichten und in den Liedern gegenwärtig. Doch auch Erinnerungen an das Land, in welchem sie Zuflucht gefunden haben. Die Juden haben im Gegensatz zu anderen religiösen und nationalen Minderheiten ein fast ungetrübtes Verhältnis nicht nur zur türkischen Gesellschaft, sondern auch zum türkischen Staat. „Und die gestern Verfluchten kamen elendig und nackt nach Istanbul, zum erstenmal hörten sie: ,Ihr seid Flüchtlinge, seid willkommen‘“ schrieb ein jüdischer Dichter 1892 in der Istanbuler Zeitschrift 'El Tiempo‘.

Des 500.Jahrestags der Vertreibung der Juden aus Spanien und ihrer Aufnahme im Osmanischen Reich gedenkt die „500-Jahres-Stiftung“, die von jüdischen Intellektuellen und Geschäftsleuten in der Türkei ins Leben gerufen wurde, mit zahlreichen Veranstaltungen. Konzerte, Opern, Symposien, Austellungen und auch ein internationales Folkkonzert in Jüdisch-Spanisch steht auf dem Programm. „Die türkische Gesellschaft war in den dunkelsten und fanatischsten Zeitaltern eine Gesellschaft voller Menschlichkeit und Toleranz“, heißt es in einer Informationsbroschüre der Stiftung. Der Vorsitzende der Stiftung, der Industrielle Jak Kamhi sagt, daß „kein einziger jüdischer Türke 1492 vergessen kann.“ „Wir können stolz darauf sein, zu sagen: Es gibt keine türkischen Juden in der Türkei, es gibt jüdische Türken.“

Es gibt gute historische Gründe, die die vielleicht überzogen wirkenden Aussagen der Repräsentanten der „500-Jahres-Stiftung“ erklären. Während Pogrome, Inquisition und Vertreibung die Geschichte der Juden im christlichen Europa bestimmen, waren die moslemischen Sultane stets um ihre jüdischen Untertanen bemüht. Der Oberrabbi von Edirne, Izaak Sarfati, richtete 1430 einen Aufruf an die unterdrückte Glaubensgemeinde in Europa: „Euer Aufschrei hat uns erreicht. Wir wissen um euer Leiden in den germanischen Landen. Diese barbarische, tyrannische Nation unterdrückt ohne Erbarmen die frommen Kinder unseres auserwählten Volkes.

Auch ich bin in Germanien aufgewachsen. Ich wurde vertrieben aus meiner Heimat. Und ich kam in das heilige und gesegnete türkische Land. Hier habe ich Frieden und Glück gefunden. Auch für euch kann die Türkei Land des Friedens sein.“

Dieser König hat wenig Verstand

Der Rabbi sollte Recht behalten. Sultan Bayazid II., ein besonders frommer Moslem, war es, der seine Flotte nach Spanien ausschickte, um die vom spanischen Königspaar Ferdinand und Isabella verfolgten Juden aufzunehmen. Der Sultan machte sich lustig über die Judenvertreibung Ferdinands. „Wer kann behaupten, daß dieser König Verstand hat. Sein eigenes Land treibt er ins Elend, meins bereichert er.“ Mit Gesetzen und Dekreten versuchten die osmanischen Sultane, jeden Ansatz von Antisemitismus, den christliche Untertanen im Reich schürten, zu unterbinden. Nach einem Dekret Sultan Bayazids drohte bei Übergriffen auf die jüdischen Flüchtlinge die Todesstrafe.

Der Niedergang des osmanischen Vielvölkerstaates und die Gründung des türkischen Nationalstaates 1923 war kein Bruch in der Geschichte des friedlichen Zusammenlebens von Türken und Juden. Der Gründer der türkischen Republik und Nationalheld Mustafa Kemal setzte sich persönlich dafür ein, daß verfolgte jüdische Wissenschaftler aus Nazi-Deutschland in der Türkei aufgenommen wurden. Auslandsvertretungen der neutralen Türkei (zum Beispiel in Wien und auf Rhodos) retteten durch Ausgaben türkischer Pässe zahlreichen Juden das Leben.

Doch es gab und gibt auch dunkle Flecken in der türkischen Geschichte. Unterstützt von antisemitischer Propaganda in den Medien wurde 1942 eine Sondersteuer für nichtmoslemische Bevölkerungsgruppen eingeführt. Diejenigen, die die Steuer nicht entrichteten, wurden in Arbeitslager eingewiesen. Nach heftiger Kritik wurde die Steuer wieder abgeschafft.

Antisemitismus ist heute fester Bestandteil in der Programmatik der islamischen Fundamentalisten, die auch im Parlament vertreten sind. Angesprochen auf die dunklen Kapitel türkisch-jüdischer Geschichte, winkt der Vizepräsident der 500-Jahres-Stiftung jedoch ab. „Stellen sie sich ein älteres Ehepaar vor, das goldene Hochzeit feiert. Unmöglich, daß es im Laufe der Zeit nicht zu ehelichem Zwist kam. Doch es war eine ungeheuer glückliche Ehe.“

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