Atomanlage löchrig wie ein Schweizer Käse

Frankfurt/Main (taz) — „Eine Explosion zerreißt die frühmorgendliche Stille in Hanau, Fenster bersten, Bau- und Installationsteile fliegen wie Geschosse durch die Luft.“ In der Zeitschrift für die Feuerwehren 'Florian Hessen‘ (3/92) beschäftigten sich Katastrophenexperten mit „einem der größten Schadensereignisse der jüngsten Vergangenheit“— der Explosion eines zylindrischen Wasserstofftanks bei der Firma Heraeus in Hanau am 5.10. 1991. Und weil in der Brennelementefabrik der Weltfirma Siemens in Hanau bei der Versorgung mit Wasserstoff mit ähnlichen Systemen wie bei Heraeus gearbeitet wurde, hatte der hessische Umweltminister Joschka Fischer nach Vorlage entsprechender Gutachten umgehend die Produktion von Uran-Brennelementen gestoppt. Im Betriebsteil MOX-Verarbeitung wurde nach einem Kontaminationsfall im Sommer 1991 nach einer Stillegungsverfügung des Ministers ohnehin nicht mehr gearbeitet. Während die Systeme im Produktionsbereich Uran zum Jahreswechsel 91/92 den angeordneten Druckprüfungen standhielten und die Anlagen danach wieder in Betrieb genommen wurden, liefen die Untersuchungen im Produktionsbereich MOX erst vor Monatsfrist an — im Zusammenhang mit dem Wiederanfahren der Anlage nach der umstrittenen Bonner Weisung auf „Abarbeitung“ der im Fertigungsbereich lagernden MOX-Gebinde.

Das Ergebnis der von Fischer in Auftrag gegebenen gutachterlichen Stellungnahme liegt jetzt vor: An sechs verschiedenen Stellen im System wurden Undichtigkeiten festgestellt, selbst bei Armaturen, die unmittelbar vor den Druckprüfungen erneuert worden waren. Gegenüber der taz erklärte der Sprecher des hessischen Umweltministeriums, Georg Dick, daß das Ergebnis der Prüfungen erneut die These bestätigt habe, daß es in Fragen der Sicherheit „kein Pardon“ geben dürfe. Bei der Explosion bei Heraeus seien schließlich ganze Anlagenteile verwüstet worden. Dick: „Man stelle sich eine solche Explosion einmal in einer Atomanlage vor, in der Plutonium verarbeitet wird.“

Nachdem das bayerische Umweltministerium bereits am Montag das wegen der Schlampereien bei Siemens in Karlstein verhängte Transportverbot für Kernbrennstoffe „vorläufig“ wieder aufgehoben hat, zog gestern auch Joschka Fischer nach. Weil die Siemens auch in Hanau alle Auflagen des Ministeriums erfüllt habe, könnten auch in Hessen die Atomtransporte wieder rollen. kpk