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„Ich habe einen ideellen Auftrag erfüllt“

Hoechst-Werksarzt beschaffte sich Informationen über verstorbene Ex-Mitarbeiter des Konzerns  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Weil er einen „ideellen Auftrag“ zu erfüllen habe, verschaffte sich der leitende Werksarzt des Chemiegiganten Hoechst AG in Frankfurt fast drei Jahrzehnte lang bei Haus- und Klinikärzten die persönlichen Daten von verstorbenen Ex-Mitarbeitern der Firma. Damit wollte er mögliche Zusammenhänge zwischen den Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten und deren Todesursachen überprüfen. Nach einem Bericht der 'Frankfurter Rundschau‘ habe der Mediziner dabei keinerlei Unrechtsbewußtsein entwickelt. Es sei ihm „egal“ gewesen, ob er sich Informationen legal oder illegal habe besorgen müssen, denn es sei dabei immer um „lebenswichtige Erkenntnisse“ gegangen.

Nicht nur niedergelassene Ärzte und angestellte Mediziner aus den Krankenhäusern der Region gaben Werkdoktor Schuckmann bereitwillig Auskunft über Todesarten und Krankheitsverläufe von ehemaligen Hoechst-Mitarbeitern. Auch Gesundheits- und Standesämter wurden von Schuckmann konsultiert. In aller Regel hätten sich Ärzte und Beamte von der Seriosität seiner Absichten überzeugen lassen — nur manchmal habe er mit kleinen Werbegeschenken nachhelfen müssen. Auf Nachfrage erklärte der Werksarzt, auf diese Art und Weise an die Daten von rund 80 Prozent der in den letzten dreißig Jahren verstorbenen Werksangehörigen gekommen zu sein. Und auch bei den Chemiekonzernen BASF und Bayer, so Schuckmann, sei diese Praxis „seit langem üblich“. Zwischen den Chemiefirmen finde darüber hinaus ein „reger Datenaustausch“ statt. Bislang wollten weder BASF noch Bayer die Angaben von Schuckmann bestätigen oder dementieren. Allerdings wies man bei BASF darauf hin, daß eine legale „Todesursachen-Datei“ in Ludwigshafen seit 100 Jahren existiere. Recherchiert worden sei allerdings nur dann, wenn die Angehörigen des Verstorbenen damit einverstanden gewesen seien.

Die Werksleitung von Hoechst erklärte inzwischen, daß der leitende Werksarzt „eigenverantwortlich gehandelt“ habe. Schuckmann selbst verwies darauf, daß aufgrund seiner Todesursachenstatistiken ein Zwischenprodukt für Farben- und Pflanzenschutzmittel aus der Produktion genommen worden sei, weil die Mitarbeiter dieser Abteilung überdurchschnittlich oft an Blasenkrebs erkrankt seien.

Inzwischen hat der hessische Datenschutzbeauftragte in Zusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium in Darmstadt eine Untersuchung eingeleitet. Eine „rechtliche Bewertung“ sei erst nach Abschluß der Recherchearbeiten möglich, die heute mit „Besuchen“ beim Gesundheitsamt und beim Standesamt der Stadt Frankfurt beginnen sollen.

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