: Schwerelos zum
■ 20 Millionen Mark hat die Bundesrepublik Kritiker warnen vor weiteren derartigen
Klaus-Dietrich Flade lacht, singt und winkt. Wenige Minuten vor dem Start der Rakete Sojus TM am Dienstag um 13.55 Moskauer Zeit (11.55 Uhr MEZ) vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur ist der 39jährige Bundeswehrtestpilot zu Scherzen aufgelegt. Den Fotografen noch schnell die Zunge rausgestreckt, und auf geht's. Gemeinsam mit zwei russischen Kosmonauten, dem Kommandanten Alexander Viktorenko und Bordingenieur Alexander Kaleri, macht er sich auf den Weg zur Raumstation „Mir“. Flade ist der fünfte Deutsche, der ins Weltall fliegt. Vor ihm haben sich bereits der DDR-Flugoffizier Sigmund Jähn (1978 als erster Deutscher), zweimal der Werkstoffwissenschaftler Ulf Merbold sowie die Professoren Reinhard Furrer und Ernst Messerschmidt auf den himmlischen Kurs begeben.
Minister Riesenhuber eilt in die kasachische Wüste
Den Bilderbuchstart unter strahlend blauem Himmel haben nicht nur Flades Eltern miterlebt. Auch Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber hat es sich nicht nehmen lassen, an der Startrampe zu winken. Fast wäre er nicht dabei gewesen, weil seine Maschine in Moskau wegen Vereisung der Startbahn nur verspätet starten konnte. Der CDU-Politiker zeigte sich begeistert, denn die bemannte Raumfahrt ist eines seiner Prestigeobjekte. Von dem insgesamt 45 Millionen Mark teuren deutsch- russischen Projekt 'Mir '92‘ fließen 20 Millionen Mark aus deutschen Kassen. Anlaß für den SPD-Politiker Wolf-Michael Catenhusen, die bemannte Raumfahrt erneut zu kritisieren. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung warnt vor weiteren derartigen Investitionen. Die Bundesregierung sollte sich lieber fragen, ob es klug sei, „mit harten Devisen“ die Raumfahrt in den GUS-Republiken am Leben zu halten. Er empfinde die
Mir- 92- Mission als „Geste gegenüber den Russen eine sehr vernünftige Sache“. Aber die Mission sei „der billigste Mitflug“, den die Deutschen in der bemannten Raumfahrt je geboten bekommen hätten. Catenhusen erinnerte daran, daß sich die Raumflüge in der ehemaligen So-
wjetunion wirt-
schaftlich nicht ausgezahlt hätten. Deshalb sollten die Europäer „nicht alleine aufgrund der günstigen Angebote der Russen nun das Faß für die bemannte Raumfahrt“ aufmachen. Inzwischen warnen auch namhafte Wissenschaftler der Bundesrepublik in einem offenen Brief an Forschungsminister Riesenhuber vor den Kosten der bemannten Raumfahrt.
Aber der sieht in dem jetzt begonnenen deutsch-russischen Raumflug eine Zusammenarbeit, die „in einem gemeinsamen Unternehmen „Mars94“ gipfelt“. 42 Projekte seien bereits vereinbart worden, doch ist die Zukunft der bisherigen sowjetischen Weltraumforschung nach dem Zerfall der Sowjetunion noch ungewiß.
Um den Besitzanspruch des Kosmodroms Baikonur östlich des Aralsees streiten sich seit einiger Zeit Rußland und Kasachstan. Völlig offen ist vor allem die weitere Finanzierung des teuren Weltraumunternehmens des untergegangenen Sowjetreiches. Es schickte als erstes Land der Welt den ersten Satelliten, den ersten Mann und auch die erste Frau ins All. Es ließ die ersten Kosmonauten im Weltall spazierengehen und richtete die ersten Langzeit-Orbitalstationen ein. Der Weltraumbahnhof Baikonur hat bis jetzt etwa 340 Starts für sich verbucht, davon über 70 bemannte. 1993 soll die Raumfähre Buran starten, um wenigstens noch einmal an die Raumstation „Mir“ unbemannt anzukoppeln.
Die Russen hoffen jetzt auf europäische Geldgeber
Heute soll beim GUS-Treffen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew über die Zukunft der Raumfahrt entschieden werden. Auch die Mittel für die Raumfähre ‘Buran‘, die bis zum 7. November 1992 fertiggebaut sein soll, sind noch nicht endgültig bewilligt. Nach Angaben ihres Konstrukteurs Nikolai Pimenow fehlen noch 200 Millionen Rubel.
Ein großer Teil des benötigten Geldes könnte durch die Kommerzialisierung der Raumfahrt eingenommen werden. Pimenow wehrt sich gegen das Einstampfen des Raumfahrtprogramms angesichts der brisanten Versorgungslage: „Wir haben schon so viele Dummheiten begangen, und wenn wir jetzt noch die Dummheit begehen und das alles auflösen, werden uns das unsere Nachkommen nie verzeihen.“
Noch zwei Jahre ist „Mir“ „lebensfähig“, erklärt General Alexej Schumilin, stellvertretender Kommandeur des Kosmodroms Baikonur. Er würde es bedauern, wenn sie bis dahin nicht weiter genutzt wird. Seine Hoffnungen ruhen auf Frankreich, Italien und Deutschland, die weitere Weltraumausflüge ermöglichen könnten. „Mir“ ist seit dem Start 1986 immer wieder überholt und ergänzt worden. Westliche Experten bezweifeln jedoch, daß das Basiselement von „Mir“, noch immer Heimat für zwei Kosmonauten, solange durchhält.
Seit zehn Monaten ist Kosmonaut Wolkow an Bord der Raumstation. Sein Mitflieger Krikaljow, der „Mir“ nur einen kurzen Besuch abstatten sollte, umkreist die Erde nun schon seit sechs Monaten.
Flade begründet diesen unfreiwilligen Zwangsaufenthalt mit den Ereignissen in der Sowjetunion: „Krikaljows Flug begann unter einem anderen Stern, als er weitergeführt wurde. Er hätte eigentlich mit dem Österreicher Franz Viehböck zurückkehren sollen. Eine Änderung in der Raumfahrtpolitik hat bewirkt, daß ein kasachischer Kosmonaut anstelle des vorgesehenen Bordingenieurs zur Station ,Mir‘ fliegen sollte. Das war ein Forschungskosmonaut, der nicht für einen Langzeitaufenthalt im All ausgebildet war. Aus diesem Grund wurde Krikaljow gefragt, ob er bis zu unserem Flug in der Station auf uns warten kann. Damit war er einverstanden. Es ist im übrigen völlig unwahr, daß er nicht einsatzbereit ist und daß es ihm schlecht geht.“
Der deutsche Kosmonaut hat keine Angst, daß die Krisenlage in Rußland vielleicht auch ihn auf eine ewige Umlaufbahn bringen könnte: „Die Leute, die auf der Erde sind und uns helfen, diese Mission durchzuführen, wissen alle, daß dort Menschen an Bord sind. Und Menschenleben werden hier nicht geopfert.“
Fünf Tage wird Flade in der „Mir“-Station experimentieren. Von den insgesamt 14 Versuchen sollen 13 Erkenntnisse über die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den Organismus, die Muskulatur, den Hormonhaushalt, den Gleichgewichtssinn, den Blutdruck, die Herz- und Atemfrequenz und die Körpertemperatur bringen. Im 14. Versuch will er das Verhalten unterkühlter Metalle erproben. Am 25. März 1992 schließlich soll der Deutsche mit den Langzeit-Kosmonauten zurückkehren. Bärbel Petersen
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