: Der Mythos Provence endet auf der Müllkippe
Die Provinz in Frankreichs Südosten ist eine ökologische Problemregion; die Umweltschützer dort sind ebenso erfolgreich wie in sich zerstritten/ Gibt es nach den Wahlen am Sonntag einen grünen Präsidenten in der Region? ■ Aus Aix Alexander Smoltczyk
Oh Wohlgerüche, oh Farben der Provence! Thymian und Mimosen- Haine, Zikaden, die in Pinien jauchzen... Man kennt das aus dem Reisebüro. Doch der Nordmensch wird jäh aus dem Schwelgen gerissen, folgt er den Möwenschwärmen über dem Etang de Berre. Dann stößt er nämlich in Entressen auf Europas größte wilde Müllkippe: mitten im naturgeschützten Rhône-Mündungsgebiet lädt Marseille täglich tausend Tonnen Hausmüll ab. Inzwischen erhebt sich der Hügel schon dreißig Meter überm platten Mündungsdelta.
Auf dem Albion-Plateau lauert die Force de frappe, in Miramas sollen 280.000 Tonnen Uranoxyde deponiert werden, und eine kürzlich veröffentlichte Studie der Stadt Avignon stellt in den Thymian-Feldern unweit der Plutonium-Fabrik Marcoule besorgniserregende Konzentrationen von Cäsium 137 und Jod 129 fest. Cézannes Montagne Sainte Victoire — abgebrannt wie ein Kunststudent; Gionos Heimatstadt Manosque — als Methangas-Speicher auserkoren; René Chars Musen-Flüßlein Sorgue — von einer Kleisterfabrik zum Umkippen gebracht... Die Provence ist eine ökologische Problemregion.
„Um die Verwüstung zu stoppen, brauchen wir eine Stärkung der Region. Denn es gibt Gesetze, aber sie werden von den Bürgermeistern nicht angewandt. Die Bürgermeister kümmern sich mehr um ihre Klientel als um übergreifende Belange“, klagt Robert Ferrato, der seit zwanzig Jahren den Kampf um den Schutz des Verdon-Gebiets vor „Technopolen“, Golfanlagen und Hypermärkten führt.
Die Gegner sind mächtig. Der Strommonopolist EDF möchte die Provence weiter mit Aufbereitungsstätten, Atomendlagern und Hochspannungsmasten anreichern. EDF ist auch für die Zerstörung des Mittelmeerwaldes mitverantwortlich: „Wir haben die letzten elf Waldbrände in unserem Kanton genau untersucht: in acht Fällen waren nicht geerdete Strommasten, Schweißarbeiten der EDF oder defekte Kabel die Brandursache. Nur ein Feuer wurde von einem Pyromanen gelegt“, sagt Fran¿ois Fiere, „Waldexperte“ der Grünen in Aix.
Über tausend Umweltgruppen haben sich inzwischen in der Region gebildet. Das geht von erbosten Bienenzüchtern bis zum Weingutbesitzer, der wegen der TGV-Vibrationen um die Qualität seiner Lagerung fürchtet. Entscheidend für den Zusammenschluß der proven¿alischen Umweltschützer war eben dieses Projekt: den Schienenflitzer TGV quer durch die Haute Provence nach Nizza zu verlängern. Ein Musterbeispiel von technokratischer Kaltschnäuzigkeit und „Parisianismus“, das zur Gründung des FARE-Süd (Vereinigung regionaler Umwelt- Initiativen) geführt hat, einer Art BUND à la fran¿aise.
Bei den für Sonntag angesetzten Regionalwahlen wird das grüne Votum den Ausschlag geben. Keine der drei großen Listen (konservative UDF-RPR, Bernard Tapie, Front National) wird alleine eine Mehrheit erlangen, alle machen den Ökologen schöne Augen. Die Umweltinitiativen wollten mit einer parteiunabhängigen Einheitsliste „Union für die Ökologie“ in die Wahlen gehen. Die regionale (und nationale) Leitung der „Verts“ lehnten dies ab: „Die Liste ist ein Versuch des Umweltministers, die ökologische Familie zu spalten“, erklärt Gérard Monnier- Besombes, Euro-Parlamentarier und Spitzenkandidat in der Provence. Die Unionler werfen den Grünen „autoritären Führungsstil und Sektierertum“ vor, so der Ex- Grüne Robert Ferrato, jetzt Nummer zwei auf der Einheitsliste.
Die Aktionsprogramme beider Listen sind nahezu identisch: Stärkung der Region, neuer Flächennutzungsplan, kein Zentimeter neue Autobahnen. Und: in keinem Fall eine Zweckallianz mit der Front National. „Wir werden unsere Autonomie beibehalten“, sagt Gérard Monnier- Besombes. Keine Koalition im Regionalrat — nur Tolerierung auf der Grundlage klar quantifizierter Mindestforderungen. Monnier würde ein Abkommen mit dem konservativen Kandidaten Jean-Pierre Gaudin bevorzugen. Der forsche Unternehmergeist eines Bernard Tapie ist vielen Grünen zutiefst verdächtig. Die „Union“ dagegen sieht bei Tapie „viele gute Ideen. Wir müssen die Region entwickeln. Weshalb nicht durch die Ansiedlung von Umwelttechnologie-Firmen?“
Nach der Wahl am Sonntag wird sich jede Liste (Umfragen geben ihnen je sechs Prozent) entscheiden müssen, für welchen Regionalratspräsidenten sie stimmen wird. Ein unterschiedliches Votum der Ökologen wäre, da sind sich alle einig, „eine Katastrophe für die Umweltbewegung“. Hinter den Kulissen wird ein anderes Szenario durchgerechnet: ein Ökologe als Regionspräsident, gestützt von einer breiten Allianz von Tapie, PCF und allen Teilen der „grünen Familie“.
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