: Freudentänze in Tirana
Albaner wählen kommunistische Ära ab/ Demokratische Partei siegt mit 65,6 Prozent / Spitzenkandidat Sali Berisha mit 98 Prozent auf Ex-KP-Niveau ■ Aus Tirana Christian Semler
Po, po, po, fitore — ja, ja, ja, der Sieg, rief die Menge, als gegen Montag Mittag Zehntausende auf dem Skanderbeg-Platz von Tirana der Ankunft des Volkshelden Sali Berisha harrten. Zu diesem Zeitpunkt stand der Erdrutschsieg der Demokratischen Partei endgültig fest. Zwei Drittel hatten für die Demokraten gestimmt, und das bei einer Wahlbeteiligung von 80 Prozent.
Schon seit den frühen Morgenstunden durchrasten Wagenkolonnen in halsbrecherischem Tempo die Innenstadt Tiranas, vor dem Hauptquartier der Demokraten, einem ehemaligen Bezirksamt, lagen sich die Menschen in den Armen oder posierten als strahlende Sieger vor einer der zwei Dutzend Fernsehkameras. Der Stimmenanteil der Demokraten zeichnete sich schon zu diesem Zeitpunkt ab. Nach Auszählung von 66 der 100 Wahlbezirke war ja auch das satte Zwischenergebnis von 65,6 Prozent der Stimmen für die Demokraten als großer Sieg zu feiern. Die Sozialisten, die Ex-Kommunisten, kamen nur noch auf 22,6 Prozent. Die mit Hoffnungen angetretenen Republikaner und Sozialdemokraten wurden mit je rund 3 Prozent enttäuscht. Damit dürften die Demokraten 82 der 100 Direktmandate erhalten, die Sozialisten dagegen wahrscheinlich nur noch 10 Sitze.
Fast alle Großstädte des Landes sind an die Demokraten gefallen, was aber die Wahl entschied, ist die fast vollständige Niederlage der Sozialisten in den traditionellen ländlichen Hochburgen des Ostens und Südens. In Kucova, dem alten Stalinstadt, konnte Parteiführer Fatos Nano seinen Sitz verteidigen, in Berat und einigen anderen traditionellen Schwerpunkten der ehemaligen Partei der Arbeit könnten die Sozialisten noch die Direktmandate gewinnen. Ihre anderen Mandate werden sie lediglich über die Landesliste gewinnen können.
Dank der Unterstützung der Demokraten konnte der Chef der Sozialdemokraten, Skender Gjinuschi, der ehemalige Unterrichtsminister, ein Direktmandat in Elbassan erringen. Doch sowohl die SDPler als auch die Republikaner sind an der Vierprozenthürde gescheitert.
Damit hat sich ein Zweiparteiensystem etabliert, mit einer zur Ohnmacht verurteilten Opposition. Im Hauptquartier der Sozialisten war paradoxerweise Erleichterung spürbar. Famir Kumbaro, Fernsehchef und sozialistisches Mitglied der Wahlkommission, gestand bereitwillig die Niederlage ein. Man habe das Volk nicht überzeugen können, daß die Sozialisten sich endgültig von ihrer schrecklichen Vorläuferin abgenabelt hätten. Sie seien für die ganze Katastrophe des Landes haftbar gemacht worden. Und außerdem — der Wind wehe der europäischen Linken gegenwärtig ins Gesicht. Doch nicht einmal ein Gott, so Kumbaro, könne jetzt die Lage der Albaner rasch verbessern.
Die Frage, auf die sich an diesem Montag alles zuspitzte, war, ob Ramiz Alia aus dem Wahlergebnis die Konsequenzen ziehen wird. Freiwillig wird er nicht gehen — das ist die übereinstimmende Meinung der demokratischen Aktivisten. Auf einer Pressekonferenz hatte der Präsident auf der Legitimität seines Amtsanspruchs bestanden. Also, so die Demokraten, wird man ihn absetzen müssen. Fürs erste schützen ihn ein vier Meter hoher, anmutig mit Blätterwerk verzierter Zaun und ein Wachbataillon. Auf dem Sims seines Palastes ist eine Parole erhalten geblieben, die die Demonstranten wenigstens einen Tag lag in Anspruch nehmen können: „Es lebe die Staatsmacht des Volkes“.
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