: BVG-Chef wegen Betrugs angezeigt
■ Im 1.000 Seiten starken BVG-Fahrplan jede zweite Angabe falsch/ Fahrgastverband stellt Anzeige beim Staatsanwalt/ Mehrere Millionen Mark Ordnungsstrafe gegen das Unternehmen möglich
Berlin. Der kaufmännische Geschäftsführer der Berliner Verkehrsgemeinschaft (BVG), Hans-Bernhard Ludwig, muß sich möglicherweise demnächst vor Gericht wegen Betrugs verantworten. Denn das Fahrgastunternehmen verkauft 1.000 Seiten starke Kursbücher, obwohl nur noch jeder zweite Eintrag stimmen soll — und soll damit gegen geltende Gesetze verstoßen. Pro Falscheintragung kann ein Ordnungsgeld von 5.000 Mark verhängt werden — insgesamt könnte sich die Summe auf mehrere Millionen Mark belaufen.
Die Strafanzeige wegen des Verdachts des Betrugs stellte gestern die Interessengemeinschaft Eisenbahn und Nahverkehr Berlin (IGEB), die aus 220 Mitgliedern besteht. Norbert Gronau, der bei der Fahrgastvertretung zuständig für Beschwerden ist, forderte gestern, daß der Verkauf der sieben Mark teuren Fahrpläne sofort eingestellt wird. Von den über 1.000 Seiten seien 914 irreführend oder falsch. Damit werde dem Kunden kein Kursbuch, sondern ein Haufen Altpapier verkauft. Auf die vielen Falscheintragungen müßte beim Verkauf zumindest hingewiesen werden. Die IGEB drängt darauf, daß die BVG sofort ein Nachtragbuch mit Korrekturen druckt oder gleich ein vollständig neues Kursbuch veröffentlicht.
Gronau schlägt vor, daß Fahrpläne erst dann geändert werden sollten, wenn ein neues Kursbuch erscheint. Die Besitzer eines BVG- Kursbuches können nach Angaben der IGEB ihr Exemplar am Schalter zurückgeben, weil sie sich auf die enthaltenen Angaben nicht mehr verlassen können. Die BVG müsse den Preis des Buches erstatten. Beim Kauf des Buches nach dem ersten März diesen Jahres könne der Kunde sogar Schadensersatz für Taxifahrten verlangen, sofern die Fahrten durch falsche Fahrplanangaben notwendig geworden sind. Die Interessengemeinschaft Eisenbahn beruft sich dabei auf Paragraphen des Personenbeförderungsgesetzes sowie auf das Bürgerliche und das Strafgesetzbuch.
Gronau bemängelte außerdem, daß die BVG-Einsparungen von 150 Millionen in diesem Jahr zu 80 Prozent im Ostteil der Stadt realisiert werden. Seit der Fusion der (West-)BVG mit der (Ost-)BVB zu Beginn des Jahres sei das Management überfordert und treffe panikartige Entscheidungen. Unter anderem seien im Ostteil diejenigen gefeuert worden, die für einen reibungslosen Verkehr gesorgt hätten. Außerdem gebe es über das milliardenschwere Unternehmen »praktisch keine Kontrolle«. Der oberste Chef, Verkehrssenator Herwig Haase (CDU), sei ein »Versager«. Das Parlament habe nur indirekte Kontrollmöglichkeiten. Wie in anderen Städten müsse dafür gesorgt werden, daß der Fahrgastverband im Nahverkehrsbetrieb mitbestimmen könne. Dirk Wildt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen