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Südkoreas Opposition hocherfreut

Bei den Parlamentswahlen verlor die Regierungspartei überraschend ihre absolute Mehrheit  ■ Aus Seoul Peter Lessmann

Am frühen Mittwoch morgen sah alles noch nach einer Routinewahl für Südkoreas regierende Demokratisch-Liberale Partei (DLP) aus. Die absolute Mehrheit bei den 14. Parlamentswahlen könne sie wohl nicht verfehlen, meinten nicht nur Experten, sondern auch Nachrichtenjournalisten nach den ersten Auszählungsergebnissen. Doch Genosse Trend kehrte sich plötzlich um: Wie schon vor vier Jahren mußte die Partei des Seouler Staatschefs Roh Tae Woo eine bittere Niederlage einstecken. Sie fiel auf unter 50 Prozent und verfehlte die absolute Mehrheit in den Nationalversammlung nur um einen Sitz. Dabei hielt sich die DLP, die erst vor zwei Jahren aus einer Allianz der alten Regierungspartei mit zwei Oppositionsgruppen entstand, mit ihrer bisherigen Zweidrittelmehrheit für fast unschlagbar.

„Wir werden den Wählerwillen demütig akzeptieren“, sagte ein enttäuschter Kim Yong Sam, zweiter Mann in der DLP-Hierarchie direkt hinter Präsident Roh. Für Kim ist die Niederlage um so schmerzlicher, als dieses Ergebnis seine Aussichten innerhalb der Partei auf die Roh-Nachfolge ernsthaft gefährden könnte. Im Mai soll der Kandidat der DLP für die Präsidentschaftswahlen Ende diesen Jahres gekürt werden.

Die oppositionelle Demokratische Partei (DP) zeigte sich dagegen hocherfreut. Sie gewann zu ihren bisherigen 65 Sitzen 32 hinzu und erreichte damit ihr Wahlziel von 33 Prozent. „Wir wollten eine Gegenmacht zur mächtigen Regierungspartei werden, und das haben wir erreicht“, meinte ein DPler strahlend.

Auf Anhieb gelang auch der erst zwei Monate alten Partei des 77jährigen Industriemagnaten Chung Ju Yung mit gut zehn Prozent oder 31 Abgeordneten der Sprung ins Parlament. Seine Nationale Wiedervereinigungspartei und 20 gewählte unabhängige Kandidaten haben vor allem in Hochburgen der regierenden DLP Stimmen erhalten.

Die Hauptstadt Seoul liegt nun wieder in den Händen der Opposition. Mußte die DP in den Lokalwahlen vor knapp einem Jahr hier noch eine dicke Schlappe hinnehmen, erreichte sie bei den Parlamentswahlen vom Dienstag in der Hauptstadt einen überraschenden Sieg von über 55 Prozent.

Die Regierungspartei werde jetzt versuchen, einige der 20 unabhängigen, überwiegend konservativen Abgeordneten, darunter auch ehemalige DLP-Mitglieder, auf ihre Seite zu ziehen, hieß es gestern in Seoul. Doch der politische Handlungsspielraum der Regierung unter Staatschef Roh ist geringer geworden. Sie muß sich mit den Oppositionsparteien arrangieren, will sie nicht in der kurzen Zeit bis zu den Präsidentschaftswahlen Ende diesen Jahres weiteren Kredit unter der Bevölkerung verspielen.

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