INTERVIEW
: Man muß auch mal verschwenden dürfen!

■ Ein Gespräch mit Rosemarie Schauer, der stellvertretenden Intendantin des Deutschen Theaters (DT) über ihr Theater und das Theaterschaffen in Ost und West

Schon früh fühlte sie sich »geprägt durch die Theatererlebnisse im DT und verloren für einen normalen Beruf«. Ihr Ziel war es zunächst, Regisseurin zu werden, aber schon in ihrem ersten Praktikumsjahr am Deutschen Theater stellte sie fest, daß Theaterregie doch nicht das richtige war — »denn Begabung in der Wiederholung ermüdet mich«. Das Germanistik- und Theaterwissenschaftsstudium öffnete Rosemarie Schauer den Weg zur Dramaturgie, die sie heute für »einen der verkommensten und immer noch einen der schönsten Theaterberufe« hält.

taz: Was ist für Sie zur Zeit am DT das schwierigste, und woher kommen die meisten theatralen Glücksmomente?

Rosemarie Schauer: Das Schwierigste ist ja oft, wenn man's denn packt, auch ein Auslöser für das Beglückende. Kompliziert sind vor allem bürokratische und organisatorische Aufgaben, mit denen vor der Wende ja auch von den Mitarbeitern hier niemand zu tun hatte — also die Umgestaltung der Tarifverträge zum Beispiel, die veränderte Rechtsform beziehungsweise Überführung zum Senat. Vieles ist viel bürokratischer geworden als vorher. Für mich eine ganz wichtige Sache war, Leute nicht einfach zu halten, weil man sie halten will, sondern: den Leuten, die Qualität haben, das Weiterarbeiten zu ermöglichen. Das war schwierig, ist uns aber weitgehend gelungen. Die Glücksgefühle: Daß man jetzt mit Leuten von überallher arbeiten kann, mit Stücken und Autoren zu tun kriegt, die plötzlich kein Problem mehr sind — das ist beglückend. Daß einem keiner mehr reinredet. Aber das Theater zu leiten und zusammenzuhalten ist umständlicher geworden. Die tarifrechtlichen Dinge, vor allem Arbeitszeitregelungen, sind für den Theaterbetrieb eindeutig ungünstiger geworden.

Funktioniert der Austausch von »Theaterschaffenden« aus Ost und West schon halbwegs normal?

Ganz normal! Nur eben schwierig. Wir haben, wie Sie wissen, ein großes Repertoire, dreißig Stücke im Deutschen Theater und den Kammerspielen, im Angebot — und unsere guten Leute sind eben viel im Spielplan. Wenn die innerhalb der Stadt mal anderswo gastieren wollen, dann geht's noch; aber wenn es München oder Hamburg oder Wien ist, wird's schon immer eine richtige Affaire... Aber genauso, wie unsere Leute zum Beispiel in Wien oder an der Schaubühne gastieren, arbeitet jetzt Ignaz Kirchner vom Burgtheater bei uns; die Proben fangen erst demnächst an, das Stück heißt Die Worte Gottes. Aber unser Spielpan geht nun mal zum einen von dem Ziel aus, ein möglichst breites literarisches Angebot zu haben — und dann von dem Ziel, alle Schauspieler so oft wie möglich zu beschäftigen. Diesen Repertoirebetrieb gab es ja schon bei Reinhardt damals, natürlich nicht in diesem Umfang wie jetzt.

Wie sieht's bei der Platzausnutzung aus im Haus und den Kammerspielen?

Im »Deutschen« schwankt die Auslastung zwischen hundert und siebzig Prozent; in den Kammerspielen ist die Auslastung der einzelnen Produktionen sehr unterschiedlich — da haben wir auch Durststrecken und sind insgesamt noch nicht zufrieden. Da haben wir vielleicht manchmal auch nicht so den richtigen Griff gehabt.

Sind Sie der Meinung, daß prinzipiell nirgends ein Theater geschlossen werden darf — oder sehen Sie das für eine so üppig mit Bühnen versorgte Stadt wie Berlin anders?

Ich bin grundsätzlich nie der Meinung gewesen, man könne kein Theater schließen. Es hängt von mehreren Aspekten ab: Hat man eine wirklich potente Künstlerschar, die mit dem Theater etwas anfängt, etwas aussagt? Und: Hat man Publikum? Theater ohne Publikum ist für mich Nonsens. Die Theorie, daß wir zu viele Theater haben, teile ich nicht. Die Zahl von Theatern ist kein Thema: Was für eine Art von Theater hat man nötig, was will man haben in der Stadt, was bildet sich, und was bietet sich an? Ich finde schon, daß man die einzigartige Entwicklung, die es in Deutschland gibt, schützen und hüten muß. Andererseits scheint mir, daß der Prozentsatz derer, die sich für Theater interessieren und die sich das auch finanziell leisten können, immer kleiner wird. Es muß in den Theatern natürlich Kostendämpfung geben — aber man muß auch viel verschwenden dürfen!

Wie stehen Sie zu Versuchen, Theater aus der Ecke des Bürgertums herauszubekommen, also zu popularisieren, wie es zum Beispiel Zadek damals in Bochum und Hamburg mit einigem Erfolg versucht hat?

Das ist hier am DT immer versucht und auch mit Erfolg praktiziert worden. Das können Sie theatergeschichtlich verfolgen. Einmal die »traditionelle« Linie — aber immer die »wilden Köpfe«. War immer! Wo ist Peter Müller so konsequent gemacht worden — oder Peter Hacks, wo's immerhin einen Intendantensessel gekostet hat...

Offen gestanden, halte ich Hacks, zumindest dann und wann, für einen Dramatiker, während Müller für mich eher ein äußerst amüsanter PR-Blender ist...

...aber es funktioniert! Da kommen total unterschiedliche Leute! Mit einer unserer kommenden Produktionen, Philipp Ridleys Disney-Killer werden wir mit Sicherheit Leute ins Theater holen, die wir hier noch nie gesehen haben. Und das haben wir immer so gewollt. Es funktioniert zwar komischerweise nicht, daß so ein Spezialpublikum dann auch generell in unser Theater kommt...

Wieso »komischerweise«? Ist doch logisch.

Nee — ich habe früher immer gedacht: In dem Moment, in dem man mit einer Form von Theater konfrontiert wird, kriegt man Lust, auch was anderes zu erleben. Aber das stimmt offenbar nicht.

Wie ist die finanzielle Lage des DT?

Stabil. Schwierig, aber stabil.

Hat es dem DT genützt, daß es in dieser schrecklichen Monopolzeitschrift 'Theater Heute‘ Theater des Jahres geworden ist?

Ja, ja (kichert wegen der schrecklichen Monopolzeitschrift) — es hat uns geholfen. So eine »Hitliste« wie in 'Theater Heute‘ finde ich fragwürdig; denn jedes Theater hat Höhen und Tiefen; das Leben eines Theaters während einer Saison läßt sich so nicht erfassen.

Gibt es einen unerfüllten Traum von Ihnen — in diesem Haus und in Ihrer Position?

Da gibt es so viel zu sagen... Mein großer Wunschtraum ist, daß alle die tollen Schauspieler, die ich mit der Zeit kennenlernen konnte — in vielen Städten —, daß die alle hier versammelt wären. Das ist mein Wunschtraum. Interview: Klaus Nothnagel