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Im Bauch gelöste Widersprüche

■ »Wir tanzen bis zum Ende« — Die Autobiographie eines Berliner Autonomen

Fast jeder, der hier in Berlin auf einer Demo war, kennt das: Plötzlich drängen sich die Maskierten vor, schleudern Pflastersteine, die Polizei antwortet mit Wasserwerfern [Geschleuderte Wasserwerfer? Autsch! d. säzzer] und Tränengas. Die friedliche Kundgebung ist vorbei, in den Medien geht es nicht mehr um den Mißstand, sondern nur noch um die Straßenschlacht zwischen den »Chaoten« und den »Sicherheitskräften«.

Einer, der jahrelang zur Front der vermummten Berliner Kämpfer gehörte, meldet sich jetzt unter dem Pseudonym Tomas Lecorte aus dem Knast zu Wort. Wir tanzen bis zum Ende heißt sein autobiographischer Roman, den der Hamburger »Verlag am Galgenberg« Anfang April herausbringt.

Das allein ist erstaunlich genug. Denn nicht reden, sondern handeln lautet das Lebensmotto der Straßenrebellen. Schon immer fühlten sie sich als un-, zumindest aber mißverstandene anarchistische Vorkämpfer einer besseren Welt. Die Schuld daran gibt Lecorte den Grenzen der Sprache, deren Mittel nicht ausreichten, um das zu fassen, was »die Geisterfahrer auf der Autobahn der Normalität« zu sagen hätten. Lecorte wagt den Versuch, er will verstanden werden.

Warum? Ist das Buch eine Verteidigungsrede? Will der Autor klarstellen, »wieso es nicht in Ordnung war, daß da welche im Knast waren«? Von draußen, weiß Lecorte, ist nicht mehr viel zu erwarten. Im Vergleich zur Bewegung Anfang der achtziger Jahre sind heute viele »abgetörnt«, die wenigen Aktivisten werden nicht gehört. Ist das Buch vielleicht auch eine Art Wiederbelebungsversuch? Viele Gründe kommen da zusammen, doch vor allem stellt Lecorte sich selbst die Sinnfrage: Was haben die Aktionen denn gebracht, hat sich das alles gelohnt?

Nach den Maßstäben jener Gesellschaft, die Lecorte und seine Freunde bekämpfen, sicher nicht. Doch der Autor macht den Leser immer wieder zum Komplizen einer Welt, in der dies wenig zählt. So finden wir uns auf den letzten Seiten wieder mitten in den Vorbereitungen des nächtlichen Anschlags im März 1989 auf Büros des Genotec-Konzerns. Die Folgen, inklusive Knastalltag, sind bereits aus dem Anfangskapitel bekannt. Die Romanstruktur bekräftigt Lecortes Botschaft: »Was interessierten mich Risiko und Strategien, Nutzen oder Sachschaden bei dem Gefühl der gepanzerten Macht als Spielball meiner lächerlichen Steine!«

Lecorte ist keiner von denen, die blindlings losschlagen. Durch alternierende Rückblenden in jene Zeit, als sein Abweichen vom »geraden Weg« begann, kann der Leser nachvollziehen, wie sich der 17jährige Fußballfan und Kinogänger Schritt für Schritt zum überzeugten Steinewerfer entwickelte. Er war und ist ein Zweifler, der die eigenen Handlungen hinterfragt, in Diskussionen mit Freunden oft genau jene Fragen stellt, auf die auch der Leser Antworten sucht.

An der Gewaltfrage scheiden sich die Geister. Widersprüche sieht auch der junge, noch gegen Gewalt argumentierende Lecorte. Doch sie lösen sich nicht im Kopf, sondern stets im Bauch. Den Mitläufer eskalierender Demonstrationen versetzt das direkte Erlebnis »kollektiver Macht« in einen »Rausch«, der das Gefühl »kollektiver Ohnmacht« kompensiert. Im März 1981 wirft er den ersten Stein, entkommt dem Polizeiwagen, fühlt sich als heldenhafter Kämpfer einer neuen Klasse von Menschen, »die sich bewegen, um ihre Fesseln zu sprengen«.

Die Gewalt der Autonomen macht vor dem Abknallen von Menschen in RAF-Manier halt. Mord muß das letzte Mittel der Notwehr gegen Massenmörder, Diktatoren bleiben. Auch wenn Lecorte und seine Freunde die Gegenwart immer wieder mit der NS-Zeit vergleichen, »begnügen« sie sich damit, gegen Hausräumungen Steine zu schmeißen oder Bankfilialen bei Nacht mit Mollis zu demolieren. »Militanz« nennen sie ihre Gewaltaktionen und verstehen sie als symbolischen Ausdruck eines umfassenden Protestes.

Natürlich hat Lecorte nicht unrecht, wenn er eine »erdrückende Realität« schildert, das Unbehagen gegenüber einer kapitalistischen Welt, in der »die AKWs, Goldesel für Elektrizitätsunternehmen und Banken, dem Staat nebenbei die Bombe sichern.« Doch das Feindbild Staat ist so perfekt, daß die Autonomen es für sinnlos halten, »sich für kleine Verbesserungen abzurackern«. Das klingt am unglaubwürdigsten aus dem Munde jener, die es nie versucht haben und sich global auf historische Erfahrungen berufen.

Wenn es dagegen um die eigenen Ziele geht, bemüht Lecorte die Mißerfolge der Geschichte als positives Argument: Irgendwann muß es ja mal klappen mit der Revolution, die endlich jene heile Welt mit Friede, Freude, Eierkuchen und absoluter Gerechtigkeit verwirklicht. Das Was und Wie oder auch die Risiken einer anarchistischen Revolution interessieren die Autonomen dabei wenig. Auf naive Schwarz-Weiß-Malerei gründet sich ein Sendungsbewußtsein, das den angeblich einzigen, destruktiven Weg rechtfertigen soll. Gewaltfreiheit bedeutet in diesem Horizont Verrat der eigenen Ideale von einer besseren Welt und den egoistischen Versuch, das eigene Gewissen reinzuhalten.

Die Steinewerfer fühlen sich als militante Märtyrer einer als absolute Wahrheit empfundenen Glaubens, den auch der sprachgewandte Lecorte nicht einsichtiger machen kann. Abseits der banalen Utopien beeindruckt der Roman durch eine packende Schilderung von Gefühlswelten in unserer Gesellschaft. Wer sich dafür interessiert, hält ein spannendes Stück Zeitgeschichte in den Händen, dessen ideologischer Vermittlungsversuch allerdings ein Schlag ins Wasser bleibt. [Na, das ist aber doch ein sehr pädagogischer Zeigefinger! d. säzzer] Karin Dahlberg

Tomas Lecorte: Wir tanzen bis zum Ende . Galgenberg, 24,80 DM

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