: Aus Rache Stiefsohn getötet?
■ 32jähriger Kurde wegen Mordes an seinem elfjährigen Stiefsohn vor Gericht/ Mutter wollte das gemeinsame Kind verkaufen/ Angeklagter bestritt die Tat/ Er sei Opfer eines Komplotts gewesen
Moabit. Um Menschenhandel und Mord ging es gestern in den ehrwürdigen Hallen der 28. Großen Strafkammer. Der 32jährige Kasim D. war angeklagt, am 28. September vergangenen Jahres den elfjährigen Sohn seiner Freundin mit Fußtritten mißhandelt und dann mit einem Messerstich in den Bauch getötet zu haben. Als wahrscheinliches Motiv vermutete das Gericht Rache.
Zur Vorgeschichte: die Mutter des getöteten Jungen wollte ein anderes vier Monate altes Kind, dessen Vater D. ist, verkaufen. Für sie nichts neues — kurz vor dem Mord hatte sie bereits ihre sieben Monate alte Tochter an einen internationalen Menschenhändlerring verkauft. 13.000 Mark sollte ihr der Handel bringen, der in letzter Minute von der Polizei verhindert werden konnte.
Was den Mord an dem elfjährigen Zeljko anbelangt, gab es gestern zwei verschiedene Versionen. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, daß D. der Mörder ist. Eine gänzlich andere Gesichte, die allerdings eher zur Belustigung des Publikum beitrug, erzählte der Angeklagte. D. sagte aus, er sei vom Wirt des »Minigrill 3« in Spandau mit »K.o.-Tropfen«, die er seinem zweiten Bier zugefügt habe, schachmatt gesetzt worden. Er hätte plötzlich seine Umgebung nicht mehr wahrnehmen können. Als er jedoch nach einer Viertelstunde wieder Herr der Lage geworden sei, habe er direkt hinter ihm seinen Stiefsohn blutend am Boden liegen sehen. Beim Versuch, die Polizei zu rufen, habe ihm sein Chef, Cemal D., aufgelauert und ihn gezwungen in seinem Auto mitzufahren. Nach einer längeren Fahrt kamen die beiden beim »Orient Imbiß« an, in dessen Keller D. seinen Aussagen zufolge eingesperrt worden sei. Nach einiger Zeit sei Cemal D., der ihn bewacht habe, gekommen und habe ihn aufgefordert, eine Flasche Raki zu trinken. Der Angeklagte berichtete weiter, daß er mißtrauisch geworden sei. Deshalb habe er den Schnaps ausgeschüttet. Allerdings habe Cemal D. habe die Pfütze bemerkt und sein Opfer gezwungen, Schlaftabletten einzunehmen. Am Ende seines Lateins und unter Morddrohungen habe der 32jährige D. die Pillen geschluckt. Ganze 16 Tage will D. auf diese Weise im engen Keller des Dönerlokals verbracht haben — ständig unter Drogen und immer in Lebensgefahr.
Als die Wachsamkeit seiner Bewacher etwas nachließ, so der Angeklagte, habe er die erste Gelegenheit genutzt, um zu flüchten und sich in die sicheren Hände der Polizei zu übergeben. Die hatte ihn jedoch schon seit zwei Wochen als dringend Tatverdächtigen auf der Fahndungsliste. Aus Angst vor seinem Chef habe er dort allerdings nichts von seinem Abenteuer erzählt. Vielmehr erklärte er, auf Berlins Parkbänken genächtigt zu haben.
Auf die Frage des Gerichts nach dem Motiv seines Chefs gab er 18.000 Mark Schulden an, die dieser bei ihm haben würde. Cemal D. hätte ihm einen neuen Paß und ein wenig Bargeld angeboten, mit dem der Kurde nach zwölfjährigem Aufenthalt aus Deutschland flüchten sollte. Aus der Flucht wird wohl erst mal nichts, und wenn es nach Richterin Daniela Solin-Stojanowic geht, kommt D. vermutlich auch in den nächsten Jahren nicht viel herum. Sie schien bereits am ersten Verhandlungstag erhebliche Zweifel an seiner Version zu haben. In einem Ton, der durchaus zum ehrfurchtgebietenden Bau des Kriminalgerichts paßt, führte sie die Befragung durch.
Beim Verhör des elfjährigen Tihi W., der die Tat miterlebt hatte, begnügte sie sich mit den vagen Aussagen des sichtlich eingeschüchterten Buben. Als trotz Dolmetscherin nicht klar wurde, ob er nun der Bruder des Getöteten sei, half sie mit ihrer Erfahrung aus, indem sie erklärte, daß »bei den Jugoslawen alle Brüder und Schwestern sind«. Erst die Schwester Marijana konnte Klarheit verschaffen: sie ist die Schwester von Zeljko und die Stiefschwester von Tihi W. Dank der »kindgerechten Befragung« der Richterin gab das Kind einen genauen Hergang des Mordes zu Protokoll und identifizierte D. als den Mörder. Während der noch drei Wochen andauernden Verhandlung soll nun auch Cemal D. zu Wort kommen und zu den Anschuldigungen Stellung nehmen. pz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen