: Krebsgefahr bis zur 2. Generation
■ DES — ein künstliches Hormon, das keine Grenzen kennt/ Aktionswoche will über Risiken aufklären
Berlin (taz) — Unter dem Motto „DES — das Medikament, das keine Grenzen kennt“, begann gestern die erste europäische Aktionswoche, die über die negativen Langzeitwirkungen und Folgen des künstlichen Hormons DES aufklären will. DES (Diäthylstilböstrol) wurde in den Jahren von 1950 bis 1975 weltweit über vier Millionen Schwangeren verabreicht, um Fehl- oder Frühgeburten zu verhindern. Oft verschrieben es ÄrztInnen sogar vermeintlich vorbeugend und ohne daß Beschwerden vorlagen.
Spätestens seit den 60er Jahren ist in US-Fachkreisen bekannt, daß die Einnahme von DES krebsfördernd ist. In mehreren Fällen wurde in dieser Zeit bei jungen Frauen im Alter von 16 bis 20 Jahren eine seltene Form von Vaginalkrebs diagnostiziert — ein Krebs, der üblicherweise bei Frauen nach der Menopause auftritt. Nähere Untersuchungen ergaben, daß die Mütter der betroffenen Frauen während ihrer Schwangerschaft DES-Präparate eingenommen hatten. Seit 1971 ist DES in den USA verboten. Erst 1977 wurden DES- haltige Medikamente vom Bundesgesundheitsamt vom Markt zurückgezogen.
Mittlerweile, so Joan Murphy, Mitarbeiterin des Berliner Feministischen Frauengesundheitszentrums, ist erwiesen, daß sowohl die Mütter, die während ihrer Schwangerschaft DES-Präparate eingenommen haben, als auch ihre Kinder, also die zweite Generation, in verstärktem Maße krebsgefährdet sind. Da die weibliche Gebärfähigkeit bislang im Mittelpunkt medizinischer Forschung steht, (die Pille für den Mann wird seit Jahrzehnten nur halbherzig angegangen), ist über die gesundheitlichen Folgen für DES-Töchter weit mehr bekannt als für Söhne. Untersuchungen belegen, daß von 1.000 Frauen, deren Mütter mit DES behandelt wurden, eine an Vaginalkrebs erkrankt.
Die betroffenen Frauen neigen viermal häufiger als andere zu Fehl- und Frühgeburten. Es kommt bei ihnen doppelt so oft zu einer Eileiterschwangerschaft als im „Normalfall“. Töchter von DES behandelten Müttern sind darüber hinaus häufiger ungewollt schwanger. Daher sei es enorm wichtig, bei Frauen ein Bewußtsein dafür zu schaffen, ob sie der Wirkung von DES ausgesetzt waren und sind, begründete Joan Murphy die Aufklärungsaktion.
Das künstliche Hormon DES wurde als Zäpfchen, Tablette oder Spritze unter etwa 200 bis 300 verschiedenen Handelsnamen (z.B. Cyren A&B) vertrieben. Daher ist es für Frauen heute äußerst schwer nachzuvollziehen, so Joan Murphy, ob sie dieses Mittel vor Jahren eingenommen haben oder nicht. In den USA konnten Frauen vor Gericht bisher nur nach vollbrachtem Beweis Regreßansprüche gegenüber der Pharmaindustrie geltend machen. Eine Forderung der europäischen „DES Aktion“ ist es, aufzudecken, wie viele Frauen tatsächlich im europäischen Raum mit DES behandelt wurden. Denn genaue Zahlen sind hier nicht bekannt.
Bekannt ist außerdem in Fachkreisen längst noch nicht, ob dem DES vergleichbare Hormonpräparate in neuer Verpackung nicht zu ähnlichen Langzeitschädigungen führen können. Joan Murphy wies in diesem Zusammenhang auf das künstliche Hormon Clomefen hin, das unter dem Handelsnamen Dymeric Frauen verabreicht wird, die an Programmen zur künstlichen Befruchtung (IVF) teilnehmen. Clomefen weist in seiner chemischen Verbindung eine Struktur auf, die der von DES sehr ähnlich ist. flo
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