: Für mich ist das Alphabet ein Horror!
■ Der berühmte Baseler Typograf Wolfgang Weingart in Bremen / Über die Kunst, Schrift auf Flächen zu verteilen
hierhin bitte
das Schriftbeispiel
mit durchgestrichenen
Wörtern
Vorsicht! Bei diesem freundlichen Mann handelt es sich um eine irritierende Doppelexistenz — mindestens. Wolfgang Weingart, 51jährig und Schweizer, ist weit, weltweit einer der berühmtesten Typografen (dazu später) und diese Woche zum Arbeiten nach Bremen gekommen. Sein Bremer Kollege Eckhard Jung hat ihn zu einem Workshop mit StudentInnen an die Hochschule für Gestaltung eingeladen. Wolfgang Weingart spricht leise, wie einer, der aus Erfahrung weiß, daß man ihm genau zuhört. Er kann witzig sein, lacht aber selten. Er trägt: dunkle Hose, weißes Hemd, dunkle Krawatte. Auf alten Fotos schon, live auch.
Wir alle haben mehr mit Typografie zu tun, als wir denken! Was Sie gerade in der Hand halten, ist ein Ergebnis von Typografie, was bedeutet, Schrift und Zeichen auf eine vorgegebene Fläche zu verteilen: für Bucheinbände, Plakate, Straßenschilder, Kalender — für Gedrucktes. Die obere Hälfte der taz-Kultur-Seite organisiert zum Beispiel ziemlich konventionell Bilder und Textblöcke symmetrisch um die Mittelachse - Überschrift und Unterzeile wie immer linksbündig.
Man sieht es ihm nicht gleich an: Weingart hat in den 60er, 70er Jahren seinen gesamten, in Solidität fest eingeschlafenen Berufsstand mit grellen Provokationen wachgerüttelt. Gegen die „sterilen, sauberen, guten, totgelaufenen grafischen Anordnungen der Fachwelt“ setzte Weinert schmerzend schrille Plakate mit gerasterten Zeilen, mit Abbrüchen, Stufen, gleichzeitig deutsch und englisch untereinander, am Rand ironisch numeriert. Und das vorn auf dem Titel der ehrwürdigen „Typografischen Monatsblätter“ der Schweiz. Er gestaltete „als meinen persönlichen Abschied von der Typografie des Bleisatzes“ das als Meilenstein berühmt gewordene Glagola-Plakat — und strich die Zeilen radikal durch — aber durchsichtig-silbrig.
Wer den „Swiss Punk“ im Bremer Diavortrag erlebte (am Montag zum überaus ordentlichen Thema „Mein Typografie-Unter
hierhin die Grafik
mit dem sonnenartigen
Klecks drauf
Arbeiten von Weingart, v.l.n.r. mit abnehmender Heftigkeit
richt an der Schule für Gestaltung, Schweiz“), staunte womöglich. Er, der „Generationen von Gestaltern geprägt“ hat, der grafische Provokationen „mit dem Stellenwert eines Manifestes“ startete (sagt Kollege Jung), er ist die Regel in Person. Da ist nichts
beliebig. Da gibt es vor allem das: richtig und falsch.
Weingarts Klassen in Basel lernen gründlich und vom Nullpunkt aus. Die Fragen und Übungen sind faszinierend einfach, die Lösungen verblüffend schwierig: Wie groß ist der richtige Abstand z w i s c h e n den Buchstaben, zwischen Worten? Wie weit darf, nein: muß ein Komma vom letzten Buchstaben entfernt sein? In seinen Baseler „Weiterbildungs-Klassen“ für Grafiker, die sich von der Berufspraxis kreativ erfrischen wollen, hat er seit 1968 Menschen aus 30 Nationen unterrichtet, ein Netz über alle Kontinente ausgebreitet mit seinen SchülerInnen, die selbst berühmt wurden und oder unterrichten.
Weingarts Bremer Vortrag ist ein Muster an Präzision, Gliederung, Methode. Die eingeblendeten Dias haben einen klaren Aufbau. In seinem HfG-Workshop haben alle StudentInnen einen Text für ein Titelblatt nach Größe und Schriftart auf der Fläche verteilen sollen, irgendwie. Weingart beguckt mit dickem Filzer die Entwürfe: Diese Weißflächen — wozu? Da passiert nichts. Diese Schachbrett-Verteilung — hm — Nummer-Sicher Typografie. Naja Ordentlich. Flattersatz — das geht nicht, wenn manche Zeilen so ausreißen. Undundund.
Im Computer-Zeitalter ist der Niedergang der Typografen- Sorgfalt programmiert. Wer denkt noch darüber nach, wie wenig die dynamischen Zeichen L oder Z mit den schrecklichen B und O zu tun haben? Daß man mit den 26 Buchstaben die ganze Welt
hierhin die Grafik
mit viel Luft
(1 2 3 4 etc.)
zerstören kann, sicherer als mit dem Gewehr! Der Revoluzzer Weinert („Für mich ist das Alphabet ein Horror!“) ist strikt gegen modische Trends in Design-Magazinen, die farbige Schriften so mit Landschaften unterlegen, daß man nichts mehr lesen kann. Typografie, das heißt bei Weingart vor allem Lesbarkeit.
Den StudentInnen, die „in dieser Welt der Macintoshs aufwachsen, mit Chaos auf der Straße und in der Musik“, denen möchte er gegen die international angeglichenen grafischen Moden „die Augen öffnen, für die intelligenten, ganz einfachen, hochkomplexen Lösungen“. Susanne Paas
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