: Mein Penis blutet nicht
■ „Doppelpunkt“, Mittwoch, ZDF, 21 Uhr
Bei den Jugendmagazinen des Fernsehens läßt sich immer wieder die lustige Beobachtung machen, daß die aufgetakelten, halbstarken Studiogäste mindestens zehn Jahre älter wirken als der auf Teenie getrimmte Senior-Moderator. Doch auch vorgetäuschtes Alter schützt vor Torheit nicht, wie der ZDF-Doppelpunkt offenbarte. Bereits zum dritten Mal hatte die Mainzer Jugendredaktion zu einer Talkrunde zum Umgang mit der Immunschwächekrankheit Aids geladen.
Der Verlauf der Diskussion unter der Fragestellung „Alles nur Panik?“ war zumindest ein erneuter Schlag ins Gesicht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Bei den jugendlichen Studiogästen hatte ihre Präventionsarbeit außer Angst kaum Spuren hinterlassen. „Nach dem Geschlechtsverkehr hat mein Penis noch nie geblutet“, begründete etwa der bayerische Sunnyboy und Sportlehrer Erwin seine These, warum sich Hetero-Männer überhaupt nicht infizieren können. Dagegen vertraute der 21jährige Jozo dem Publikum an, sämtliche „gefährlichen Sexualpraktiken“ aus seinem Schlafzimmer verbannt zu haben. Und eine Studentin räumte ein, von ihrern Lovern „zur Sicherheit“ stets einen HIV-Test zu verlangen. Wie gut, daß mit Wolfgang Heckmann vom Berliner Aids- Zentrum ein sogenannter Experte wenigstens dem gröbsten Schwachsinn etwas entgegensetzen konnte.
In die Rolle des naiven Unbedarften schlüpfte allerdings auch Moderator Michael Steinbrecher, der die beiden unter den Zuschauern plazierten HIV-Positiven nur als exotische Statisten betrachtete. „Ist ein Verhältnis mit einem Positiven nicht eine irre Belastung, kann das eigentlich gutgehen?“ fragte Steinbrecher die deutsche Jugend und fühlte sich sehr einfühlsam. Natürlich wollte vor der Kamera niemand als ein gemeiner, gefühlloser Unmensch ohne Mitleid dastehen. Allerdings bescheideten sich auch die beiden Alibi-Positiven, mit einem tränenvollen Appell: „Macht's nicht so wie wir!“ und dem Hinweis auf den „qualvollen Tod“ lediglich ein bißchen mehr Solidarität und ein bißchen weniger Ausgrenzung zu verlangen.
Im Gegensatz zu den Großstadtschwulen ist Aids den Heteros selbst im elften Jahr nach den ersten Pressemeldungen so fremd geblieben wie Malaria oder Lepra. Von der Jugendredaktion des ZDF hätte diese — nicht allzu neue — Erkenntnis einer Talkrunde verlangt, die Fragen nach den Ursachen dieser Entwicklung miteinschließt. Vielleicht hätte sich Moderator Michael Steinbrecher lieber in Ruhe hinsetzen und über eigene Versäumnisse nachdenken sollen. Den Sendeplatz des Jugendmagazins hätte er auch getrost mit einer inhaltsgleichen Doppelpunkt-Talkrunde von 1988 füllen können. Micha Schulze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen