piwik no script img

Umweltministerium bespitzelt Müllgegner

In Saarbrücken verfertigte ein Mitarbeiter des Umweltministeriums dem BUND zufolge ein verzerrtes Psychogramm von Gegnern der geplanten Müllverbrennungsanlage Velsen/ Hamburger Gutachten deckt gravierende Mängel der Anlage auf  ■ Aus Saarbrücken Heide Platen

Der saarländische Umweltminister Jo Leinen (SPD) sei „so gut wie nicht vorhanden“, wirke „seltsam farb- und konturlos“, im Amt herrsche „Hilflosigkeit und Desorientierung“, urteilt der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) über den einstigen Vorzeige-Mann der Regierung Oskar Lafontaine. Der BUND fordert seit gestern den Rücktritt Leinens. Denn: vom unauffälligen Minister zum verdeckten Ermittler war es nur ein kleiner Schritt im Hause Leinen. Gegner des Neubaus der heftig umstrittenen Hausmüllverbrennungsanlage Velsen erhielten Akteneinsicht und entdeckten im „Chaos“ von „nur chronologisch abgehefteten“ Unterlagen ein brisantes Papier. Der Leiter des Referates A/1, Roland Lattwein, auch für Grundsatzfragen, Umweltinformation und -beratung zuständig, hatte sich im Herbst 1991 im Ort Pfarrheim sachkundig gemacht. Er besuchte eine Veranstaltung der Initiative „Ärzte gegen Müllverbrennung“ und fertigte hinterher nicht nur einen Bericht, sondern gleich ein Psychogramm der Teilnehmer und des Referenten an, das geheimdienstliche Qualitäten erreicht. Zusammengekommen waren da aus der Sicht der verdeckten Mitarbeiters Lattwein „etwa 80 Zuhörer“ im Alter von 50 bis 65 Jahren, „typische Wartezimmerklientel“, „besorgt um Gesundheit und Umwelt“. Während er das Publikum als unwissend und manipulierbar analysierte, ging er mit dem Referenten, dem Toxikologen Professor H.A. Hübers aus Klarenthal, weniger gnädig um. Der schüre Angst und Schrecken: „Er schreckt nicht vor falschen Behauptungen zurück.“ Seine Sprache sei dabei „einfach, anschaulich und plakativ“ und grenze „an Scharlatanerie“.

Besonders empört sind Naturschutzverbände und Bürgerinitiativen über den Schluß des Berichtes. Dort werden die Veranstalter „Rädelsführer“ genannt. Pressereferent Bernd Dunnzlaff versuchte sich nach dem Bekanntwerden des Aktenfundes in der Vorwärtsverteidigung. Das Wort „Rädelsführer“ sei „nicht der Stil unseres Hauses und die Sprache, die hier gepflegt wird“. Auch sei der Bericht insgesamt in dieser Form unerwünscht gewesen. Darauf habe man den Amtsleiter schon hingewiesen, als dieser ihn abgeliefert habe. Auch die Anmerkung, daß „die Linie“ des Ministeriums und des Betreibers der Verbrennungsanlage, der KABV, „an solchen Veranstaltungen nicht teilzunehmen... beibehalten wird“, richte sich keinesfalls gegen die Gegner, die insgesamt 50.000 Unterschriften gesammelt hatten. Lattwein, der, auf sein Handeln angesprochen, noch gesagt hatte, er habe den Bericht „im Auftrag“ erstellt, müsse, so der Tenor der Stellungnahme, seinen Auftrag gründlich mißverstanden haben. Natürlich gebe es, so Dunnzlaff, „ziemliche Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung“, und es sei schon eine Aufgabe des Referats, diese zur Kenntnis zu nehmen und sich „mit den Gedanken vertraut zu machen“. Für einen solchen Spitzelbericht allerdings habe Lattwein „keinen Auftrag“ gehabt.

Der Pressesprecher von BUND, Uwe Grieger, kann das wachsende Mißtrauen der Bürger gegenüber dem Umweltministerium gut verstehen. Er zog zusammen mit drei VorstandssprecherInnen eine negative Bilanz. Die getrennte Müllsammlung, die „grüne Tonne“, sei zwar ein Wahlkampfschlager gewesen, habe aber nie funktioniert. Jo Leinens Ministerium habe nie richtig gearbeitet, sei immer nur ein Aushängeschild gewesen. Leinen selbst, vermuten sie, sei von Lafontaine „kaltgestellt“, seit er nach einem Fischsterben in der Saar den Stahlbetrieb Dillinger Hütte als Verursacher nannte. Ein Umweltminister, der die Natur schütze, sei an der Saar ohnehin nicht gefragt. Sprecher Joachim Götz: „Die Umweltpolitik im Saarland wird im Wirtschaftsministerium gemacht.“ In der Tat stemmte sich Leinen nicht gerade gegen ungeliebte Straßenbauprojekte, die auch in sein Ressort fallen. Die Müllverbrennungsanlage Velsen, die in Kooperation mit Frankreich betrieben werden soll, das im Gegenzug saarländischen Sondermüll entsorgen will, ist der Behörde vor allem ein „Akzeptanzproblem“. In der Landeshauptstadt Saarbrücken hat, wie überall im Saarland, das Auto den Vorrang in der städtischen Betonlandschaft. Bürgerinitiativen scheiterten mit dem Protest gegen den Ausbau der Saar, die auch Saarbrücken durchquert. Überall im Land weisen SPD-regierte Kommunen „mit dem Segen von oben“ schützenswerte Gebiete für Industrie- und Gewerbeansiedlungen aus. Das eigentliche Regiment im Umweltministerium führe Staatssekretär Burghard Schneider, „ein Oskar-Mann“. BUND-Sprecherin Ruth Brunk: „Wir können hier schon manchmal besser mit der CDU.“ Krach gab es auch um die Verleihung des Umweltpreises, den die Jury einer CDU-regierten Gemeinde zugesprochen hatte. Er mußte, vermutet der BUND, aus Parteien-Proporz geteilt werden. Der Landesnaturschutzbeauftragte Schmidt gab seine Ämter wegen andauernder Querelen zurück.

Ein Gutachten des Hamburger Umweltinstitutes EPEA, das die Gegner der umstrittenen Verbrennungsanlage vorlegten, weist auf gravierende Mängel hin. Velsen sei überdimensioniert, orientiere sich an veralteten Emissionswerten für Staub und Stickoxyde. Außerdem sei das Verfahren für die Dioxinminderung „großtechnisch nicht erprobt“, die Prüfung auf Umweltverträglichkeit „ohne Erkenntnisinteresse“ durchgeführt worden. Der Standort liege in einem Bergschadensgebiet, in dem Bodensenkungen zu erwarten seien. Ein bergbauliches Gutachten fehle aber ganz. Der Rechtsanwalt eines Anwohners, Klaus Kall, listet die sonstigen Mängel auf. Das Ministerium habe das gesetzlich vorgeschriebene Planfeststellungsverfahren umgangen. Dies sei „grob rechtswidrig“, ein „einmaliger Verstoß“. Das saarländische Umweltministerium suggeriere einen „Müllnotstand“, der so nicht vorhanden sei und setze sich damit sogar in Widerspruch zu Bundesumweltminister Klaus Töpfer.

Während des Streites um die Müllverbrennungsanlage Velsen schaltete das Ministerium Zeitungsanzeigen, in denen es auch kritische Kollegen von Professor Hübers angriff und festellte: „An der angeblichen Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Müllverbrennungsanlagen ist absolut nichts dran.“ So stehe es im auch im 'Deutschen Ärzteblatt‘, andersmeinende „Sonderlinge“ seien „zurückgepfiffen“ worden. Inzwischen kündigte der von Amtsleiter Lattwein diffamierte Toxikologe Hübers die Prüfung juristischer Schritte an. Der Bericht sei zwar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, aber eben deshalb schlimmer „als eine öffentliche Beleidigung“, gegen die er sich schließlich hätte wehren können. Außerdem sei er von jemandem erstellt, „der weder die Fachkompetenz noch die Vorbildung dafür hat“. Angesichts der angespannten Stimmung im eigenen Land nehmen es Naturschützer und Bevölkerung besonders übel, daß Jo Leinen „teure Broschüren“ zur Rettung des tropischen Regenwaldes verteilen läßt: „Das ist schön weit weg. Der verpißt sich wie immer!“ Die Quittung werde, so eine Anwohnerin, bei den Wahlen folgen. Und: „Der Oskar redet im Bund auch anders als er im eigenen Land handelt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen