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Eine Absage an den Nationalismus?

■ Bittere Niederlagen für Sinn Fein und Schottische Nationale Partei

„Großbritannien hat nein zum Sozialismus gesagt, und Schottland hat nein zum Nationalismus gesagt“, triumphierte Ian Lang, Schottland-Minister in John Majors Kabinett. Und in Nordirland freute sich Joe Hendron von der Sozialdemokratischen und Arbeiterpartei SDLP nach seinem Sieg über Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams: „Die Wähler haben Gewalt und Paramilitarismus eine deutliche Absage erteilt.“

Auf den ersten Blick scheinen die Separatisten bei den Unterhauswahlen ein Debakel erlebt zu haben. In Schottland war den Torys, die nur über neun von 72 Sitzen verfügten, ein Absinken in die Bedeutungslosigkeit prophezeit worden. Statt dessen verteidigten sie nicht nur ihre Mandate, sondern gewannen obendrein zwei dazu. Die Schottische Nationale Partei (SNP), die als einzige für völlige Unabhängigkeit eintritt, verfehlte ihr Ziel dagegen kläglich: Statt der erhofften Verdoppelung ihrer fünf Unterhaussitze verlor sie sogar zwei. In Nordirland sieht das Bild nicht anders aus: Sinn Fein, der politische Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), mußte in West-Belfast das einzige Mandat an die gemäßigte SDLP abgeben. Ist die Sinn-Fein-Politik „mit Waffe und Wahlurne“ also gescheitert? Ist der Nationalismus lediglich in Wales, wo die nationalistische Plaid Cymru Mandate hinzugewann, noch am Leben?

Bei genauerer Betrachtung sieht die Situation anders aus: Sinn-Fein-Präsident Gerry Adams, der sich in den letzten Monaten wiederholt vorsichtig von IRA-Aktionen distanziert hatte, konnte seinen Stimmenanteil der letzten Wahlen sogar um knapp ein Prozent erhöhen. Der Grund für seine Niederlage liegt in der hohen Wahlbeteiligung von fast drei Vierteln aller Wahlberechtigten. Der SDLP ist es gelungen, die protestantisch- unionistischen WählerInnen gegen Sinn Fein zu mobilisieren. Bisher waren sie bei Wahlen stets zu Hause geblieben, weil ihre eigenen Kandidaten im überwiegend katholischen West-Belfast ohnehin keine Chance hatten. Die Zahlen machen es deutlich: Während die Unionistische Partei 6,8 Prozent verlor, gewann die SDLP 7,9 Prozent hinzu. Der Historiker Paul Arthur von der University of Ulster wies darauf hin, daß Sinn Fein in vielen Wahlkreisen zulegen konnte — vor allem in Craigavon, das in den vergangenen Monaten zahlreiche IRA- Anschläge über sich ergehen lassen mußte. Arthur hält es für möglich, daß Sinn Fein das Ergebnis in West-Belfast bei den Lokalwahlen im nächsten Jahr auf den Kopf stellen könnte.

Die SNP konnte ihr Ergebnis in Schottland sogar um sieben Prozent verbessern, was sich jedoch nicht in Mandaten ausdrückte. Der Parteivorsitzende Alex Salmond machte dafür den Labour-Wahlkampf verantwortlich: „Kinnock gaukelte den Wählern in den letzten Tagen vor, daß er den Wahlsieg praktisch in der Tasche habe. Das haben die Schotten ihm geglaubt und deshalb Labour gewählt.“ Der jetzige Tory-Wahlsieg könnte bereits bei den Lokalwahlen im nächsten Monat zu einem deutlichen Umschwung zur SNP und zu einem Anschwellen der Unabhängigkeitsbewegung führen. Ralf Sotscheck

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