: „Sekretär“ Stolpe ein „wichtiger IM“
60 Seiten Papier sorgen für Streit im Stolpe-Untersuchungsausschuß/ Unterschiedliche Bewertungen des Gauck-Gutachtens über Stolpe/ Bündnis 90: „Schwer belastend“/ SPD und PDS: Nichts Neues ■ Aus Potsdam Bascha Mika
Nichts rauslassen, abwiegeln und verharmlosen: Diese Strategie verfolgten gestern die Vertreter von SPD und PDS im Untersuchungsausschuß gegen Manfred Stolpe. Einige Stunden hatten die Ausschußmitglieder das mit Spannung erwartete Gauck-Gutachten zu den Stasi-Verstrickungen des brandenburgischen Ministerpräsidenten studiert. „Nach erstem Überfliegen gibt es keinen neuen Erkenntnisstand“, meinte Reinhart Zarnekow (SPD). Und der Ausschußvorsitzende Lothar Bisky (PDS) assistierte: „Nichts wesentlich Neues.“ Doch Günter Nooke vom Bündnis90 machte ihnen einen Strich durch die Rechnung und sich gleichzeitig beim sozialdemokratischen Koalitionspartner wenig beliebt. „Für mich sind die Unterlagen belastend, teilweise schwer belastend“, entfuhr es ihm. Zu Präzisierungen war Nooke allerdings nicht bereit — da hatte ihn wohl die Ausschußdisziplin wieder eingeholt. Es gebe Vorwürfe in der Presse gegen Stolpe, ergänzte er nur, „die nun von amtlicher Seite wiederholt werden“.
Zarnekow fühlte sich daraufhin bemüßigt zu erklären, daß sich die Stellungnahme der Gauck-Behörde nicht durch „Neuigkeiten“, sondern durch das Herstellen von „Zusammenhängen“ auszeichne. Auch Steffen Reiche, Fraktionsvorsitzender der SPD, sah „keinerlei Beweise“, daß Stolpe für das MfS gespitzelt habe. Stolpe „kann und muß Ministerpräsident bleiben“ stellte er — nicht gerade überraschend — fest.
Als „Rechercheergebnisse und Schlußfolgerungen“ hatte die Gauck-Behörde ihre Stellungnahme bezeichnet. 60 Seiten ist sie stark, die ersten 20 Seiten beziehen sich allerdings nur allgemein auf die Arbeit der Abteilung XX 4 beim MfS, die Kirchen und Religionsgemeinschaften „betreut“ hatte. Ergänzt werden die Unterlagen durch 4 Aktenordner mit Arbeitspapieren des Mielke-Ministeriums. Wie aus dem Landtag zu hören war, kommt das Gauck-Gutachten zu folgendem Ergebnis: „Die aufgefundenen Unterlagen zum Einsatz des IMB Sekretär lassen den Schluß zu, daß er nach den Maßstäben des Ministeriums für Staatssicherheit über einen längeren Zeitraum von etwa 20 Jahren ein wichtiger IM im Bereich der evangelischen Kirche der DDR war.“ Konspirative Kontakte und mehr als 1.000 Gespräche mit der Staatssicherheit hatte der jetzige Ministerpräsident Stolpe eingeräumt. Mehrfach hatte er erklärt, die Stasi-Finsterlinge hätten in seiner Akte unter dem Decknamen „Sekretär“ Informationen aus unterschiedlichsten Quellen zusammengefaßt. Doch ob als „offizieller“ Inoffizieller Mitarbeiter oder „nur“ als SED- loyaler Kirchenmann — es gibt noch andere Vorwürfe, die den Politiker in eine zwielichtige Gemengelange bringen. Laut Stasi-Unterlagen soll er über kirchliche Interna und „negative Handlungen kirchlicher Personenkreise“ berichtet haben: unter anderem Pfarrer Eppelmann als „Krawallmacher“ und die Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Demonstration im Januar 1988 als „am Rande des Terrorismus stehend“ beschimpft haben.
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