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Berlins Rechte im Wartestand

Am 25.Mai werden in Berlin die Bezirksparlamente gewählt/ Nach den Wahlergebnissen in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein sehen sich die „Republikaner“ im Aufwind  ■ Aus Berlin Dieter Rulff

Am ersten Oktober 1991 schien das Ende für die Berliner „Republikaner“ gekommen zu sein. Der halbe Landesvorstand und sechs Kreisvorsitzende legten ihr Amt nieder und verließen die Partei. Sie fanden eine neue politische Heimat in der rechtsextremen „Deutschen Liga für Volk und Heimat“, die sich zwei Tage später, am ersten Jahrestag der deutschen Einheit, in Stuttgart gründete. Auch der Landesvorsitzende Carsten Pagel kehrte seiner Partei den Rücken, entnervt von den ständigen Querelen mit seinem auf Selbstdarstellung bedachten Bundesvorsitzenden Franz Schönhuber. Die kläglichen Reste der „Republikaner“, die 1989 mit 7,5 Prozent ins Abgeordnetenhaus eingezogen waren und damit über Nacht bundesweit für Furore sorgten, dümpelten vor sich hin. Die Partei trat öffentlich nicht mehr in Erscheinung. Seit sie im Dezember 1990 aus dem Abgeordnetenhaus geflogen ist, ist sie nur noch mit drei Handvoll Verordneter in zwölf Bezirksparlamenten vertreten.

Über die Bezirksparlamente erhofft die Partei sich jetzt ihr Comeback. Der Sieg der Parteifreunde in Baden-Württemberg hat auch den Berliner Rechten Auftrieb gegeben. In allen 23 Bezirksparlamenten will man nach den Wahlen am 25. Mai präsent sein. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der „Republikaner“, Hermann Voss, hofft gar, in einigen Westbezirken zweistellige Ergebnisse zu erzielen. Voss, der zugleich dem Charlottenburger Kreisverband vorsteht, sieht bereits jetzt das Tief seiner Partei überwunden. Der „Reinigungsprozeß“, so seine euphemistische Umschreibung der parteiinternen Querelen des letzten Herbstes, sei abgeschlossen, man habe sich von jenen Kräften getrennt, „bei denen das Verhältnis zur Gewalt nicht geklärt ist“. Diese „Anhänger der Blut-und-Boden-Mentalität“ ortet Voss nun rechterhand bei den „Nationalen“, die in neun der dreiundzwanzig Berliner Bezirke kandidieren. Neben Mitgliedern der „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ tummeln sich bei der völkischen Truppe ehemalige NPD-Aktivisten und Versprengte der DSU.

Die „Deutsche Liga“ kam in die Schlagzeilen, als am 4. April ihr Landesschriftführer Gerhard Kaindl in einem Neuköllner Lokal von vermummten Tätern erstochen wurde. Bei dem Überfall wurde das Mitglied des Landesvorstandes, Thorsten Thaler, schwer verletzt. Thaler gehörte ebenso wie Kaindl und der bei dem Anschlag unverletzt gebliebene Pagel früher den „Republikanern“ an. Die Polizei vermutet, daß es sich bei den Tätern um „Türken oder Araber“ handelt, ein Umstand, der das politische Klima in der Stadt anheizt. Die CDU warnt vor „militanten Ausländergruppen“, und der Liga-Vorsitzende und ehemalige Schönhuber- Stellvertreter Harald Neubauer beklagt, daß Deutsche „wie Schlachtvieh abgestochen (werden)“.

In den Ostberliner Bezirken Hohenschönhausen und Prenzlauer Berg treten mit der „Nationalistischen Front“ und der „Wählergemeinschaft der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) noch zwei weitere rechte Splittergruppen an. Sie sind ideologisch von den „Nationalen“ kaum zu unterscheiden. In den Ostbezirken haben die extremistischen Splitterparteien das weitaus größere Sympathisantenfeld. Trotzdem ist dort, nach Einschätzung des Politologen Richard Stöss, die Bereitschaft, auch entsprechend zu wählen, geringer ausgeprägt als im Westteil der Stadt. Es mangelt an der eigenen straffen Organisation, die Ost-Rechten bilden eher eine „Szene“. Zudem haben sie eine ausgeprägte Abneigung gegen Führungspersonen — Resultat jahrelanger DDR-Sozialisation.

Republikaner profitieren von großer Koalition

Stöss, der zu Beginn des Jahres die erste repräsentative Studie zum Rechtsextremismus in Ost- und West-Berlin erstellte, räumt den „Republikanern“ gute Chancen ein, in den West-Bezirken die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Die Bedingungen für einen Wahlerfolg der Rechten in Berlin seien sogar besser als in Baden-Württemberg und in Schleswig-Holstein, da die regierende große Koalition in der Stadt eine relativ unpolarisierte und unpolitisierte Situation hervorgebracht habe — beides gute Grundlagen für Rechtsextremismus. Die Stöss-Einschätzung wird durch Umfrageergebnisse bestätigt, die die 'Berliner Morgenpost‘ gestern veröffentlichte. Danach würden jetzt nur noch 30 Prozent der Berliner die CDU wählen (Abgeordnetenhauswahl 1990: 40,4) und 33 Prozent die SPD (30,4). Die Grünen/Bündnis 90 stiegen auf 14 Prozent (9,4) während die PDS von 9,2 auf 8 Prozent fiele. Die FDP würde mit 7 Prozent ihr Ergebnis halten. Die „Republikaner“ würden sich im Schnitt auf 7 Prozent verdoppeln, in den Ostbezirken werden ihnen 4 und in den Westbezirken 9 Prozent prognostiziert.

Die beiden Regierungsparteien reagieren auf die Drohung von rechts ziemlich hilflos. Nach dem Wahldebakel von Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg wurde SPD- Fraktionschef Ditmar Staffelt bei der Fehlersuche lediglich in Bonn fündig. Der Bundesregierung, so seine Analyse, werde „die Lösung der dringendsten Aufgaben nicht mehr zugetraut“, deshalb komme „der Berliner großen Koalition eine besondere Rolle dabei zu, jetzt der in Bonn regierenden CDU/CSU/FDP- Koalition auf die Sprünge zu helfen“. Mit dem gleichen Blickwinkel wertete der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen die Erfolge der Rechten als „Ausdruck tiefgreifender Verunsicherung in einer Phase des Auf- und Umbruchs in Europa“. Außer solch raumgreifender Rhetorik war von den beiden Parteien nicht viel an Konsequenzen aus dem Wahlergebnis vom vorletzten Sonntag zu vernehmen. Einzig die CDU gelobte Zurückhaltung beim Thema Asylpolitik. Noch Ende Januar hatte sie in einem Flugblatt geklagt: „Das Boot ist voll.“ Diese Parole will sich Generalsekretär Karl-Joachim Kierey nunmehr „nicht zu eigen“ machen.

Querschläge von Lummer

Um so ärgerlicher reagieren die Christdemokraten darauf, daß ausgerechnet eines ihrer prominentesten Mitglieder die dezente Linie durchkreuzt. Kaum waren in Kiel und Stuttgart die Ergebnisse verkündet, meldete sich der Parteirechte und Bundestagsabgeordnete Heinrich Lummer mit der Aufforderung zu Wort, die „Republikaner“ als mögliche Koalitionspartner anzuerkennen. Auch wenn Diepgen sich sofort beeilte, dies als eine „einzelne extreme Randmeinung“ innerhalb seiner Partei zu qualifizieren, erreichte die Botschaft doch ihren Adressaten. „Es gibt Abgeordnete bei der CDU, die mit uns symphatisieren“, frohlockte der Vizechef der „Republikaner“, Voss, und „über kurz oder lang“, so seine Prognose, „wird sich die CDU mit uns auseinandersetzen müssen.“

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