: Der Terror der Pro-Life-Bewegung blieb nicht ohne Wirkung
■ Amerikas militante Lebensschützer schrecken auch vor Drohbriefen, Entführungen, Brandstiftung und Bombenanschlägen auf Kliniken nicht zurück
„Tut uns leid, von eurer Tragödie zu hören. Haltet durch. Wir denken an euch“, haben gleich mehrere Leute kreuz und quer auf die zwei Plakate gekritzelt, die den Eingang zur Jahrestagung der National Abortion Federation (NAF) säumen. Die tröstenden Worte gelten dem Personal zweier Abtreibungskliniken, die erst vor wenigen Stunden in Flammen aufgegangen sind. „Solche Anschläge sind nichts Ungewöhnliches. Das ist in den vergangenen Jahren öfter passiert, wenn wir unsere Jahrestagung hatten“, meint Jeri Camara nüchtern. „Normalerweise gibt es auch eine große Demonstration vor dem Hotel, in dem wir tagen.“
Die große Demonstration der „Verrückten“, wie Jeri die Abtreibungsgegner nennt, ist der NAF, die gleichzeitig Berufsverband für etwa die Hälfte aller Abtreibungskliniken in den USA und Lobby für Abtreibungsrechte ist, bei ihrer diesjährigen Tagung erspart geblieben. Vor dem Pan Pacific Hotel in San Diego hält nur eine einsame Nonne den Passanten grausige Poster von abgetriebenen Feten entgegen. Die Poster gehören zum Standard-Hetzmaterial der „Antis“ und können gegen einen geringen Betrag bei Human Life International bestellt werden — „großartig für Antiabtreibungsdemos“, verspricht der Werbetext. Und in der Tat: Die Fotos der blutverschmierten und verrenkten Feten dürften auch den letzten Zweifler überzeugen, daß jene, die für legale Abtreibungen streiten, nur brutal und unmenschlich sein können.
Die religiösen Fanatiker, die der Antiabtreibungsbewegung in den USA erst die richtige Schärfe gegeben haben, glauben, gottlosen Mördern das Handwerk legen zu müssen. Die schwangeren Frauen, die ihre Kinder nicht austragen wollen oder können, schließen sie im Zweifel noch in ihre Gebete ein. Jenen aber, die Abtreibungen zu ihrem Beruf gemacht haben, haben sie den Kampf erklärt. Ihre Taktik reicht von der vermeintlich friedlichen Blockade der Kliniken bei gleichzeitigem Absingen von Kirchenliedern über Drohbriefe und -anrufe bis hin zu Brandstiftung und Bombenanschlägen. 912 Gewalttaten — darunter sogar die Entführung eines Arztes — gegen Abtreibungskliniken oder ihre Beschäftigten hat die NAF seit 1977 gezählt. In einem Drittel aller Fälle sind die Täter, die oft unter der Bezeichnung „Armee Gottes“ auftreten, entdeckt und verurteilt worden. Meist sind es Männer und Frauen, die schon zuvor als Aktivisten in der Pro-Life-Bewegung in Erscheinung getreten waren.
„Ich bin eine Überlebende von Wichita, Kansas“, verkündet Peggy Jarman mit einem schüchternen Lächeln und erntet mit dieser Offenbarung bei ihren NAF-KollegInnen großen Beifall. Seit dem vergangenen Sommer steht der Ort im Mittleren Westen der USA für die bisher längste und wirksamste PR-Kampagne von Operation Rescue, die heuschreckengleich über einzelne Städte herfällt. Sechs Wochen lang belagerten die Abtreibungsgegner drei Kliniken in Wichita. „Meinem ärgsten Feind wünsche ich nicht, solch einen Terror jemals mitmachen zu müssen“, erinnert sich Peggy Jarman, die damals als Sprecherin einer der Kliniken Tag und Nacht auf Trab war. Den Journalisten habe sie damals versucht klarzumachen, „daß es denen allein um Macht, Geld und Medienaufmerksamkeit geht. Die Frauen sind denen egal.“
Blockaden, von denen die National Abortion Federation in ihrer Statistik seit 1987 insgesamt 448 gezählt hat, und die ständige Angst vor Bomben und Molotowcocktails haben das Personal der Abtreibungskliniken eine Art Wagenburgmentalität einnehmen lassen. Die NAF-Jahrestagung in San Diego ist deshalb für die 450 angereisten ÄrztInnen, ArzthelferInnen und Krankenschwestern eine willkommene Gelegenheit, unter Gleichgesinnten zu entspannen. „Hierherzukommen lohnt sich schon allein, weil man endlich mal laut und deutlich das Wort Abtreibung sagen darf, ohne daß gleich jemand zusammenzuckt“, gibt Sandra Curry die Stimmung wohl der meisten Konferenzteilnehmer wieder.
Kliniken haben Nachwuchsprobleme
Die Attacken der radikalen Abtreibungsgegner sind aber auch hier Dauerthema. Kaum eine Rede vergeht, ohne daß Stärke und Durchhaltevermögen des Klinikpersonals gelobt werden. „Die Öffentlichkeit erkennt euch eben nicht als die Helden und Heldinnen an, die ihr seid“, tröstet die ehemalige NAF-Präsidentin Francis Kissling. Zuspruch haben die „Leute im Abtreibungsgeschäft“ wahrlich nötig. Viele unter ihnen sind kampfmüde; der Rückzug aus einem so heiß umstrittenen Betätigungsfeld etwa in die Geburtshilfe erscheint ihnen emotional lohnender.
Die „Antis“ haben ganze Arbeit geleistet. Obwohl Abtreibungen in den USA immer noch legal sind, ist es ihnen mit ihrer Hetzpropaganda gelungen, sie mit einem moralischen Makel zu versehen, der immer mehr Jungmediziner vor einer Ausbildung in diesem Bereich zurückschrecken läßt. Immer mehr Kliniken klagen über Nachwuchsprobleme, und die NAF bemüht sich händeringend um die Unterstützung der Mediziner- Kollegen, diesen Trend zu stoppen.
In den „dunklen Tagen von damals“ — vor 1973, als Abtreibungen in den USA noch illegal waren — mußte Harry Levin die Ärzte für seine erste Abtreibungsklinik in Washington aus allen Himmelsrichtungen zusammensuchen. Jenen, die in seine Fußstapfen getreten sind, prophezeit er, daß sie schon bald im „Transportgeschäft“ tätig sein werden, statt Abtreibungen anzubieten. Wie er sind sie überzeugt, daß der Oberste Gerichtshof noch in diesem Sommer das vor über achtzehn Jahren mit der Entscheidung „Roe gegen Wade“ in der Verfassung verankerte Recht auf Abtreibung abschaffen und damit das Verbot von Abtreibungen oder zumindest wesentliche Einschränkungen in einzelnen Bundesstaaten ermöglichen wird. Und das wird in den USA, wie auch in Deutschland, einen „Abtreibungstourismus“ nach sich ziehen.
Den Zusicherungen der Politiker und Lobbyisten, man werde den Status quo bewahren können, schenken die „Leute, die an der Front stehen“, nur bedingt Glauben. Zwar beklatschen sie — wenn alle anderen zusehen — die Optimisten, die glauben, die Abtreibungsfrage zum zentralen Wahlkampfthema machen und im November einen Demokraten ins Weiße Haus wählen zu können. Insgeheim geben aber die meisten zu, daß sie die Hoffnung schon lange aufgegeben haben. Und da sie nicht nur aus Berufung, sondern auch als Broterwerb abtreiben, sehen sie sich zunehmend nach einer Erweiterung ihrer Dienstleistung um. Die Geschäftsführungen der beiden abgebrannten Kliniken, denen hier das Mitleid ihrer Kollegen galt, werden sich vor dem Hintergrund der nationalen Entwicklung eine Rückkehr ins Geschäft möglicherweise noch einmal überlegen.
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