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Brandstiftung sollte in Bremen Signal setzen

Jugendliche Brandstifter wegen Mordversuchs vor Gericht/ Angeklagte mit Neonazi in einer Clique  ■ Aus Bremen Dirk Asendorpf

Der „Tag der deutschen Einheit“ hatte am 3. Oktober 1991 kaum begonnen, da klirrte kurz nach 1 Uhr nachts in einem Bremer Flüchtlings- Wohnheim die größte Fensterscheibe im Hochparterre. Ein Stein war in das dunkle Zimmer geflogen, gefolgt von drei Molotowcocktails. Nur ein Zufall führte dazu, daß alle rund 50 AsylbewerberInnen, darunter auch viele Kinder, aus Kurdistan, Gambia, der Türkei und dem Iran unverletzt aus dem sofort lichterloh brennenden Haus gerettet werden konnten. Zum Zeitpunkt des Anschlags hatte sich niemand in dem Zimmer aufgehalten und als die Feuerwehr wenige Minuten später eintraf, konnte sie die letzten drei Hausbewohner mit Atemschutzgeräten aus dem Obergeschoß retten.

„Nach der Anschlagswelle in Ostdeutschland haben wir uns damals gedacht, daß wir in Bremen auch mal was tun müssen“, erklärt ein gutes halbes Jahr später der 18jährige Hannes O. vor dem Bremer Landgericht. Zusammen mit zwei weiteren Jugendlichen muß er sich dort seit gestern wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung verantworten. „Ich wollte das als Signal setzen“, ergänzt der ebenfalls 18jährige Oliver D., „daß da jemand sterben könnte, daran habe ich überhaupt nicht gedacht.“

Im Zuschauerraum verfolgen die beiden Väter die Aussagen ihrer gerade volljährig gewordenen Söhne. Sie entstammen gutbürgerlichen Bremer Familien, der eine Vater ist Geschäftsführer eines großen Unternehmens, der andere ein bekannter Rechtsanwalt und Notar. Gut beraten von renommierten Anwälten haben alle drei Angeklagten ein umfassendes Geständnis abgelegt. Mit Rechtsextremismus oder gezielter Ausländerfeindlichkeit wollen sie jedoch nichts zu tun haben. „Wir wollten mit dem Brandanschlag bloß den Drogendealern einen Denkzettel verpassen“, sagte Hannes O.

Tatsächlich war das Flüchtlingswohnheim mitten in einem wohlhabenden Bremer Stadtteil im Frühjahr 1991 als „Drogenvilla“ durch die lokalen Medien gegeistert. Im Juni war es sogar zu einer Demonstration von 300 empörten Nachbarn gekommen. „Drogenhandel, Messerstecherei, Vergewaltigung — jetzt reichts!“, hieß es damals im Aufruf zu dieser Protestaktion. Weitgehend unbeachtet blieb, daß kurz darauf neue Flüchtlingsfamilien in die Villa einzogen, die mit Drogenhandel überhaupt nichts zu tun hatten. „Wir wußten doch, daß da Dealer drin wohnen“, behauptete der Angeklagte O. noch gestern vor Gericht. Das Zusammentreffen ihrer Aktion mit dem „Tag der Deutschen Einheit“ sei „rein zufällig“ gewesen. „Das hätte auch an jedem anderen Tag passieren können“, versichert O.

Zu der Jugendclique, in der der Anschlag geplant und die Molotow- Coctails gebastelt worden waren, gehört auch Thorsten Bunk, einziger Kandidat der Neonazipartei „Nationalistische Front“ bei der letzten Bremer Bürgerschaftswahl. Zusammen mit fünf weiteren Mitgliedern der Jugendclique ist er jetzt ebenfalls angeklagt, weil er zwar von dem lebensbedrohlichen Anschlag seiner Freunde wußte, sich jedoch nicht an die Polizei gewandt hatte. Nur ein einziger Jugendlicher der Gruppe hatte sich schließlich zu einer Anzeige entschlossen, aufgrund derer die drei Haupttäter drei Wochen nach dem Anschlag festgenommen werden konnten. Nach ein bis viermonatiger Untersuchungshaft sind sie derzeit wieder frei. Mit einem Urteil wird nicht vor Mitte Mai gerechnet.

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