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Die ICEs wandern aufs Abstellgleis

Die Auswirkungen des Streiks bei der Bundesbahn waren gestern noch nicht so gravierend wie befürchtet, doch der Verkehr nähert sich streckenweise dem Chaos/ ICE-Züge besonders anfällig  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Mit zehn Minuten Verspätung ist der rot-weiße ICE 695 „Herrenhausen“ auf dem Gleis 3 des Hannoverschen Hauptbahnhofs eingelaufen. „Ist das der Zug nach München“, fragt vorsichtig eine alte Dame im blauen Kostüm den grauhaarigen Beamten, an dessen Uniform das Schild „DB-Service-Team“ prangt.

Um 13 Uhr sollte der „Herrenhausen“ eigentlich abfahren und knapp sechs Stunden später die bayerische Landeshauptstadt erreichen, doch heute wird Stuttgart als Zielort angezeigt. „Ja, einsteigen, das ist der Zug“, antwortet der Service-Beamte, „ungefähr um 15 Uhr 20 ist er in Fulda, da müssen Sie dann umsteigen. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.“ Die immer gleichen Antworten auf stets die gleichen Fragen haben an seinen Nerven gezerrt, und die Journalisten, die die Auswirkungen des Streiks „auch noch schlimmer darstellen“, will er „am liebsten auf die Gleise werfen“.

Vor dem Kollaps stand in der Tat der ICE- und IC-Verkehr der Bundesbahn gestern noch nicht, obwohl die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) den Schwerpunkt ihrer Streikaktionen auf diesen Fernverkehr gelegt hatte. Zwar mußten etwa Reisende auf der Nord- Süd-Strecke von Hamburg nach München auf die direkte Verbindung verzichten und statt dessen in Hannover, Fulda und Würzburg umsteigen. Auch standen im ICE „Herrenhausen“ die Reisenden allenthalben auf den Gängen, als der dann um 13 Uhr 34 auf Gleis 3 ausfuhr.

Doch Familien, die samt Gepäck stundenlang auf einen Zug warten mußten, oder hilflos umherirrende Reisende etwa suchte man auf dem Hannoverschen Hauptbahnhof bisher vergeblich. „Da gab es mal eine halbe Stunde Wartezeit, oder es kann auch sein, daß unterwegs ein Anschluß nicht klappt“, sagt „Reiseberater“ Walter Lutze, der gerade die Frühschicht in der Reisezugauskunft des Hauptbahnhofs beendet. Doch bisher seien die Reisenden solidarisch mit den Streikenden, seien froh, „daß überhaupt Züge fahren“.

Die „wirlich gravierenden Folgen des Streiks“ bei der Bundesbahn stünden noch bevor, sagt der Pressesprecher des GdED-Hauptvorstandes in Frankfurt. Im Ausstand befanden sich nach seinen Angaben gestern „mehrere tausend“ Angestellte und Arbeiter bei der Bundesbahn, darunter die Rangierer in so wichtigen Bahnhöfen wie Hamburg und München, wo schon am Morgen zwölf komplette IC-Züge ihre tägliche Reise durch die Republik gar nicht erst antraten. Neben dem Nahverkehr in München und im Ruhrgebiet wurde auch das Bundesbahn- Ausbesserungswerk in Hamburg- Eidelstedt bestreikt, was den ICE- Verkehr entscheidend treffen wird.

Alle 44 ICE-Züge der Bundesbahn müssen aus Sicherheitsgründen jeweils nach 2.500 Kilometern Fahrt zur Kontrolle und Wartung das speziell für diesen Zweck ausgerüstete Ausbesserungswerk in Hamburg anlaufen. Von den 750 Beschäftigten dort sind nach Auskunft der Bundesbahn zur Zeit etwa 500 im Streik.

Statt die große Schleife durch die Bundesrepublik von Hamburg über Hannover, Frankfurt und Stuttgart nach München zu fahren, verkehrten die ICEs gestern im wesentlichen nur noch im Pendelverkehr zwischen Hannover und Stuttgart. „Wir haben von uns aus den Verkehr reduziert“, so sagt der Sprecher der Hamburger Bundesbahndirektion, „um die verbleibende Fahrzeit vor der nächsten Wartung der ICEs zu strecken und so den Betrieb noch etwas länger aufrechtzuerhalten.“

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