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Kein Interesse an Chancengleichheit

■ Promotionsstipendien: Wer in Ost-Berlin seine Doktorarbeit gefördert bekommt, erhält rund 500 Mark weniger, als wenn er die gleiche Arbeit in West-Berlin fertigt

Schöneberg/Mitte. Das Berliner Abgeordnetenhaus verpaßt es seit über drei Monaten, die Chancengleichheit für nachwuchsgeförderte Promovierende in Ost- und West- Berlin herzustellen. Die vom Land Berlin finanzierten Dissertationsstipendien unterscheiden sich um knapp 500 DM. Einem im sogenannten Mantelgesetz fixierten Auftrag an die Parlamentarier, bis zum 1. Januar 1992 diese Differenz zu überprüfen, sind das Abgeordnetenhaus und der Senat nicht nachgekommen.

Doktoranden im Ostteil der Stadt müssen sich mit einem erheblich kleineren Stipendium als ihre WestkollegInnen begnügen. Statt des im Westen üblichen Grundbetrages von 1.200 DM erhalten sie monatlich nur 720 Mark. Festgehalten ist dies in einer Sonderregelung des »Gesetzes zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses« (NaFöG). Auf der Grundlage des NaFöG zahlt das Land Berlin Stipendien für Promovierende. Im »Mantelgesetz«, das das Westberliner Recht und damit auch das NaFöG im September 1990 auf den Ostteil erstreckte, heißt es zum verminderten Oststipendium: »Das Gesamtberliner Abgeordnetenhaus hat bis zum 1. Januar 1992 eine Überprüfung vorzunehmen.« Dies ist bis heute nicht geschehen.

Für die jungen DoktorandInnen aus dem Ostteil wird dadurch die Lage »immer brisanter«, wie Frank Althoff meint. Der Doktorand macht sich derzeit mehr Gedanken über steigende Mieten und Heizkosten als über die preußische Außenpolitik im 18. Jahrhundert — seinem Dissertationsthema. Wenn er innerhalb der auf zwei Jahre beschränkten Laufzeit des Stipendiums seinen Doktor machen wolle, müsse er sich wahrscheinlich an seine Eltern wenden. Seine »Kollegin« Anne Schniering meint, es falle ihr »wirklich schwer, 200 von den 920 Mark wegzunehmen, um davon Bücher zu kaufen.« Zu dem Ostgrundbetrag erhalten die Stipendiaten zusätzlich einen Bücherzuschuß von 200 DM (der in Ost- und West-Berlin gleich hoch ist).

Anne Schniering ging vergangenes Jahr von der Freien an die Humboldt-Universität (HUB), um dort über ein neues diagnostisches Verfahren bei Spulwurmbefall zu promovieren. Auch ihren Wohnsitz verlagerte sie in den Ostteil. Es gefällt ihr gut dort, sie werde bei der Veterinärmedizin der HUB gut betreut. Aber wenn sie gewußt hätte, daß sie das fast 500 DM Einbuße im Stipendium kosten würde, »dann wär' ich womöglich gar nicht in den Osten.« Die 26jährige Doktorandin meint, daß auch andere AbsolventInnen so denken: »Die werden sich ihre Promotionen woanders suchen.«

Manfred Pragst, der an der Humboldt-Universität die NaFöG-Stipendien verwaltet, fragt sich, ob die Chancengleichheit für die wissenschaftliche Jugend an den drei Universitäten noch gegeben ist.« Alle Initiativen, diese Chancengleichheit herzustellen, sind bislang fruchtlos geblieben. Anne Schniering schrieb einen Brief an die NaFöG-Kommission und erhielt die Antwort, daß sich der Wissenschaftssenat »grundsätzlich nach dem Wohnsitz zu richten hat«. Auch Frank Althoff schrieb einen Brief an Wissenschaftssenator Manfred Erhardt. Doch sein zusammen mit einer weiteren Stipendiatin im Juli 91 geäußerter Wunsch, eine Angleichung der Förderbeträge in Ost und West vorzunehmen, blieb gänzlich unbeantwortet.

Während das Land Berlin die in seiner Zuständigkeit liegende Harmonisierung der NaFöG-Sätze seit Monaten vernachlässigt, kämpft Berlins Regierender Bürgermeister beim Bundeskanzler um das Bafög. Auch bei der Ausbildungsförderung für Studierende gibt es eine Differenz zwischen Ost und West. Im Land Berlin, so Eberhard Diepgen in seinem Brief, komme es dadurch »zu Ungereimtheiten, die nicht hingenommen werden können«. Wenn ein Westler im Osten ein Studium aufnehme, »sieht er sich sehr bald gezwungen, das Studium abzubrechen, denn auch er bekommt 200 DM weniger.« Die Folge davon sei, schrieb Diepgen am 13. April an Helmut Kohl, »daß die derzeitige Bafög-Regelung das notwendige Zusammenwachsen des Bildungwesens in Gesamt-Berlin« konterkariert. Christian Füller

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