Von lärmenden Fröschen

■ Dämlich: Oliver Czesliks „Heilige Kühe“ an der Berliner Schaubühne

Heilige Kühe dürfen nicht geschlachtet werden. Und da sitzen sie nun in aller Behäbigkeit mitten auf der Straße und behindern den Verkehr. Kein Wunder, daß so manch praktisch denkender Zeitgenosse ab und zu von dem Wunsch befallen wird, die Messer zu wetzen und Schluß zu machen mit dem ewigen Stau der Geschichte. Auf daß sie wieder frei und ungestört über deutsche Autobahnen fließen kann.

Heilige Kühe hat auch der 27jährige Oliver Czeslik ein Stück genannt, das am letzten Apriltag in der Probebühne der Berliner Schaubühne uraufgeführt wurde. Schauplatz ist, wen wird es wundern, ein ausgedienter Schlachthof, der rechtsradikalen Skinheads als Treffpunkt dient. Auch eine Kuh findet sich bald ein: Karl Klementi, ein Dokumentarfilmer, der einen Film über Skinheads drehen will. Von seinen beiden glatzköpfigen Interviewpartnern Ulrike und Gero wird er jedoch bald gefangengesetzt, um an „Führers Geburtstag geopfert“, also ermordet zu werden. Er wird grausam gefoltert. Am Ende hat er ein Bein verloren, ihm wurden alle Glieder gebrochen und die Augen ausgestochen.

Die heilige Kuh, die Oliver Czeslik und der Regisseur Klaus Metzger zum Schlachten auf Deutschlands erste Bühne geführt haben, ist der moralische Konsens der Nachkriegsgesellschaft, daß Linke gut und Rechte böse sind. Und so ist der Dokumentarfilmer natürlich ein Linker. Ein linker Idiot eigentlich, dem allerlei ideologische Stilblüten in den Mund gelegt werden. Und manch verkrampfter Versuch, die linke Utopie nach „dem großen Zusammenbruch“ zu verteidigen. Aber Czeslik interessiert sich nicht wirklich für diese Figur, und deswegen bleibt sie ein halbherziges Konstrukt. Nicht einmal den Linken als Opfer wagt Czeslik zu thematisieren; bequemerweise läßt er Klementi Jude sein. Heilige Kühe?

Wahrscheinlch glaubt Czeslik auch, daß es genügt, Karl Klementi sagen zu lassen, daß er Stalinist gewesen sei, um die Bestialitäten, die ihm die Skinheads antun, zu relativieren. Glaubt, daß er Stereotypen bricht, wenn eine der beiden Folterer sich zwischendurch als journalistische Undercover-Agentin zu erkennen gibt. Wenn sich zum Schluß der Chef der Neonazis in Sträflingskleidung selbst in Ketten legt. Aber mit Stereotypen lassen sich Stereotypen nicht brechen. Schon gar nicht, wenn sie nichts sind als angeschwemmter Bildungsmüll.

Skinheads auf dem Theater, das wäre ein fälliger Stoff. Auch die Befragung der moralischen Beurteilungsraster, die meist nur verdecken statt aufzudecken. Und die Rolle, die Journalisten spielen, die sich nicht für die Wahrheit, sondern nur für den Sensationswert ihrer Geschichten interessieren. Doch kaum hat in Berlin der erste Bühnen-Skinhead seinen Mund geöffnet, hat man schon das Gefühl, bei einer Maskerade und nicht bei einer Theateraufführung dabei zu sein. Wie so oft, wenn sich das Theater daran versucht, dem Zeitgeist auf der Spur zu bleiben und Wirklichkeit imitiert statt darzustellen.

Für Czesliks Stück hat Gisbert Jäkel ein klaustrophobisches Bühnenbild gebaut, dessen Metallwände auch den engen Zuschauerraum umschließen. Nach jeder Szene blendet — wie beim Verhör — ein greller Scheinwerfer das Publikum. Die drei Akteure — Rainer Philippi als Klementi, Alexander Schröder und Dörte Lyssewski als Skinhead-Paar — bleiben ohne Kontur und versuchen im Verein mit Regisseur Klaus Metzger die Perspektivlosigkeit der Inszenierung zu übertünchen, indem sie Klementis Folterung wie ein Nitsch-Happening zelebrieren. Das Publikum, mal gelangweilt, mal angeekelt, nahm's mit Gelassenheit zur Kenntnis. Nur einmal zerriß ein ärgerlicher Zwischenruf (Wann ist diese faschistische Scheiße endlich vorbei?) den Raum. Doch kein Skandal, nicht einmal ein Skandälchen. Nur ein Fauxpas, sonst nichts.

Die Zeitschrift 'Theater Heute‘ druckte Czesliks Stück in ihrer Aprilausgabe ab. Vom Selbsterhaltungstrieb getrieben, ist man dort schon jahrelang unverdrossen auf der Suche nach frischen Talenten. Und im Eifer krönt man lärmende Frösche zum Prinzen. Am Ende lösen die Personen sich auf, schreibt der Czeslik-Interpret in jenem Zentralorgan der Theaterkunst. „Die klare Scheidung zwischen Gut und Böse wird unmöglich.“ Und fast möchte man ihm mit Heinz Galinski antworten, der in seiner Gedenkrede an die Opfer des Holocaustes, von der man zur Premiere geeilt war, sagte: „Bei einem Mord gibt es nur zwei Beteiligte, den Mörder und sein Opfer.“ Esther Slevogt