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Zünftige Handgemenge

■ Die Italiener spielen bei der Eishockey-WM recht erfolgreich als „defensives Kollektiv“ auf

Bratislava (taz) — Diese Italiener sind vielleicht ein Haufen. Die könnten einen Eisring zusammenstrampeln gleich einer Elefantenherde, wenn's pressierte. Die sind aggressiv wie Sonny Liston nach dreimonatiger Enthaltsamkeit vor einem Kampf! Schlägereien, es wird nicht allzu überraschend kommen, gehen die Jungs natürlich nicht aus dem Weg. In keinster Weise. Bremst sie einer hinterlistig mit einem Eisstöckchen beim Herumkurven, so halten sie sofort an, um die Sache unverzüglichst und ein für allemal zu regeln. In einem minderschweren Fall spielen sie erst einmal weiter, merken sich aber den Übeltäter für später. Überzahlspiel lehnen sie kategorisch ab. Was es auszutragen gilt, soll im faireren Vergleich, Mann gegen Mann und fünf gegen fünf, entschieden werden.

Und dennoch: das italienische Eishockeyteam, im Vorjahr erst als B-Gruppensieger in die Eliteliga aufgestiegen, hat bei seiner ersten A-WM seit neun Jahren eine erfolgreiche Premiere hinter sich gebracht, eine „äußerst erfolgreiche“ sogar, wie Cheftrainer Brian Lefley meint. Er selbst übrigens auch. Der 43jährige trainerte während der Olympischen Spiele die Schweizer, wurde aber nach deren zehntem Platz vom ehrgeizigen Verband zum alleinigen Schuldigen erklärt und verabschiedet. Da die Italiener Olympia als Zwölfter und Letzter erlebt hatten, mag der nun erreichte Nichtabstieg auch in der Öffentlichkeit als Erfolg und Indiz für Lefleys kurze, aber wirkungsvolle Arbeit gelten.

Die Richtung ist klar und vertraglich abgesichert: Zumindest bis zu den in Italien stattfindenden Welttitelkämpfen 1994 soll der Amerikaner aus dem einstigen Chaotenhaufen ein konkurrenzfähiges Team formen. Und wer die Azzuri bei Olympia erleben durfte, weiß, daß Lefley ganz unten anfangen mußte. Da sind erste Glanzlichter wie das 0:0 gegen Weltmeister Schweden mehr als erstaunlich.

Was hat er in der Kürze der Zeit verändert? Nun, einige ältere Spieler ausgetauscht, zehn neue geholt, doch was wohl wichtiger sein dürfte: „Wir haben es geschafft, uns das anzueignen, was ich ein defensives Konzept nenne.“ Womit Lefley genau im Trend liegt: Individuen sind nicht mehr gefragt, vor allem für die „Kleinen“ gilt: „Auf diesem Niveau kann man nur Erfolg haben, wenn man als Kollektiv auftritt.“ (Lefley)

Am Sonntag gegen Deutschland lief es zwei Drittel wie geplant. Erst als Georg Comploi und Komplizen anfingen, die Strafbank großflächig zu bevölkern und somit in alte Untugenden zurückzufallen, setzte es Tore und die 6:2-Niederlage. „Das ist eine Disziplinfrage“, sagt Lefley, „gegen einen Gegner vom Niveau der Deutschen kann man in Unterzahl nicht gewinnen.“ Tatsächlich: Elfmal saßen die Italiener draußen auf der Sündenbank, vier Powerplaytore schluckten sie währenddessen, da half das größte Herzblutvergießen nicht mehr. Für Lefley aber wird das Spiel als Anschauungsmaterial noch nützlich sein: „Wer stets weiß, was er tut, taktisch sehr diszipliniert spielt, der gewinnt“, sagt er, womit auch eine Erkenntnis dieser WM gefunden wäre. Den Italienern mag sie nicht unmittelbar mehr nützen, die reisen demnächst ab, aber die Spieler wissen immerhin, was sie in den kommenden zwei Jahren erwartet. An der Kondition hapere es den meisten, der Sprung von italienischer Serie zu Weltmeisterschaften sei nach wie vor immens, Lefley weiß, daß „es eine ganze Menge gibt, woran wir arbeiten müssen“. Dem Toreschießen etwa kommt die Mannschaft nur sehr zögerlich nach, was gegen Schweden (0:0), mehr aber noch gegen die Amerikaner (0:1) letztlich einen Sieg verhinderte. Zwei Monate im Jahr etwa will Brian Lefley daran werkeln, den Rest der Zeit coacht er den Schweizer Zwergenverein und diesjährigen Playoff-Halbfinalisten Ambri.

Im nächsten Jahr soll noch einmal der Abstieg vermieden, in der Zwischenzeit „eine solide Spielkultur entwickelt“ werden, die man dann bei der WM in Mailand und Bozen im Jahr darauf vorzuführen gedenkt. Das Fazit von Prag und Bratislava, das Lefleys Assistent Dale McCourt zieht, stimmt jedenfalls optimistisch: „Ein Sieg oder Punkt ist bereits jetzt in jedem Spiel möglich.“ Ein zünftiges Handgemenge aber nach wie vor auch. Peter Unfried

Gruppe B: Rußland - Frankreich 8:0, CSFR - Kanada 5:2, Schweiz - Norwegen 3:1; Tabelle: 1.Rußland 17:6/7:1, 2.CSFR 15:7/6:2, 3.Schweiz 12:9/6:2, 4.Kanada 11:12/5:3, 5.Norwegen 7:16/0:8, 6.Frankreich 8:21/0:8

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