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Britische Wirtschaft humpelt vor sich hin

Ernüchterung nach dem Tory-Wahlsieg: Die Konservativen stehen ratlos vor ihrem eigenen Erbe  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Die Euphorie an der Londoner Börse über den Tory-Wahlsieg währte nur kurz: Der FTSE-Index, das Londoner Börsenbarometer, kletterte um 138 Punkte, wodurch die Aktienwerte kurzfristig um über 20 Milliarden Pfund (rund 58,6 Mrd. Mark) erhöht wurden. Das seit längerem kränkelnde Pfund stieg ebenfalls über nacht, und die Regierung verkaufte innerhalb von 24 Stunden mehr Staatsanleihen als sonst in einem Monat. Doch die Euphorie verflog schnell, der Kater folgte bereits einige Tage später. Schließlich hatte der neue und alte Premierminister John Major dem Land die Rezession selbst mit eingebrockt. Gibt es einen Grund anzunehmen, daß es nun aufwärts gehen wird?

Nein, sagen die MitarbeiterInnen der Cambridge Economic Policy Group (CEPG), einem einflußreichen Wirtschaftsinstitut, das mit seinen Voraussagen in der Vergangenheit fast immer richtig lag. Und für die Zukunft prophezeit die CEPG nichts Gutes. So erwartet das Institut einen weiteren Fall des Bruttosozialprodukts um 0,2Prozent in diesem Jahr, eine kaum zunehmende Kauflust der Verbraucherschaft und einen Rückgang fester Kapitalanlagen um 6,4Prozent. Eine Steigerung werden dagegen nur die Arbeitslosenzahlen verzeichnen: Sie sollen auf drei Millionen bis Ende diesen Jahres anwachsen und im nächsten Jahr sogar 3,25 Millionen erreichen. „Die britische Wirtschaft humpelt vor sich hin“, heißt es in dem Institutsbericht, „die Hauptmerkmale sind zu geringe Investitionen und ein schwacher Produktionssektor.“

Darüber hinaus verzeichnet Großbritannien in diesem Jahr eine Verdoppelung des Handelsbilanzdefizits auf 8,5 Milliarden Pfund, das im nächsten Jahr sogar auf zehn Milliarden Pfund steigen wird. Die längste Rezession in Großbritannien seit den dreißiger Jahren hat dazu geführt, daß Major sich von dem eisernen thatcheristischen Grundsatz des Sparens abgewendet hat. „Majors Antwort auf den Konjunkturrückgang im letzten Jahr war eine massive Erhöhung der öffentlichen Ausgaben“, tadelt Alan Walters, der ehemalige Wirtschaftsberater Margaret Thatchers, der sich selbst als „altmodischen Liberalen“ bezeichnet. „In diesem Haushaltsjahr beträgt die Neuverschuldung mit 28 Milliarden Pfund sogar das Doppelte — das sind fünf Prozent des Bruttosozialprodukts.“ Da diese Zahl auf der rosigen Voraussage von zwei Prozent Wachstum beruhe, werde die tatsächliche Neuverschuldung bei über 30 Milliarden Pfund liegen, glaubt Walters. „Da Arbeitslosigkeit und langsames Wachstum andauern werden, wird man sich dem Druck auf die öffentliche Brieftasche nicht widersetzen können.“

Wie werden die Torys das Haushaltsdefizit finanzieren? Wie bisher: durch Privatisierung staatlicher Industrien. Allerdings ist vom Familiensilber nicht mehr viel übrig. Nach optimistischen Schätzungen könnte der Verkauf von British Coal, der Post, der restlichen 40Prozent Anteile an den Elekrizitätsgesellschaften sowie 24Prozent an Telecom elf Milliarden Pfund einbringen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß die Torys der Kohleindustrie den endgültigen Todesstoß versetzen und die Zahl der Bergwerke, von denen ohnehin nur 50 überlebt haben, auf sieben reduzieren werden. Die Kohlebergwerke hätten nur dann eine Zukunft, wenn die Regierung einen Importstopp verhängt, die staatliche Subventionierung für Atomkraft einstellt und die Zahl der gasgetriebenen Kraftwerke einschränkt. Doch es deutet nicht das geringste auf eine derartige Wende in der Tory-Energiepolitik hin. Um an Geld zu kommen, bleibt Major freilich auch der Griff zu Steuererhöhungen, die von zahlreichen Wirtschaftsexperten als unausweichlich angesehen werden. Den Tory-WählerInnen wäre es zu gönnen. Die Ankündigung einer Steuererhöhung vor den Wahlen hatte sich für die Labour Party als politischer Selbstmord erwiesen. Selbst die liberale Presse reagierte darauf deutlich ablehnend — von den Tory-Boulevardblättern gar nicht zu sprechen. Die Torys dagegen senkten die Steuern im letzten Budget geringfügig — ein geschickter Schachzug, der beweist, daß plumpe Wahlkampfgeschenke noch immer zum Erfolg führen. Wenn das Stimmvieh seinen Schlächtern nach Jahren ruinöser Wirtschaftspolitik eine vierte Amtszeit beschert, verdient es, betrogen zu werden.

Das Wachstum, das die Torys nun schon seit Jahren herbeireden wollen, wird auf absehbare Zeit ausbleiben. Professor Wynne Godley schrieb im 'New Statesman‘: „Wachstum kann nicht wie bei bisherigen Rezessionen durch die Abschaffung der Kreditaufsicht herbeigeführt werden, weil es nichts mehr abzuschaffen gibt. Weder kann die Wirtschaft durch eine lockere Steuerpolitik angekurbelt werden, weil das Haushaltsdefizit ohnehin sehr hoch ist, noch durch eine Politik des billigen Geldes, weil sich die Regierung an feste Wechselkurse gebunden hat. Dazu kommt, daß unsere Zinsrate in Deutschland nach einzig deutschen Gesichtspunkten bestimmt wird.“ Die Senkung der Zinsrate, auf die viele ihre Hoffnungen setzen, bleibt also ein Wunschtraum.

„Großbritanniens monetäre Lähmung ist selbstverschuldet“, kritisiert auch Alan Walters den Beitritt zum Europäischen Währungssystem. „Major hat das britische Pfund geradezu mit Enthusiasmus an das Deutschmark-Kreuz genagelt und unsere Geldpolitik damit aus der Hand gegeben. Da das Preisniveau zum Beispiel von Häusern, die mit Krediten von 10,5Prozent Zinsen gekauft wurden, auch in Zukunft um zwei bis fünf Prozent im Jahr fallen wird, liegt der Realzins für Einsteiger in den Hausmarkt bei 15Prozent im Jahr. Bei diesem anhaltenden Druck auf den Geldmarkt kann kein merklicher Aufschwung herbeigeführt werden.“ In der britischen Wirtschaftspolitik wird sich wenig ändern: Die Torys werden bis zu den nächsten Wahlen weiterwurschteln.

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