: Milosevic will Bosnien in Stücke hauen
Tudjman ist dafür: Treffen mit Serbenführer Karadzic ■ Von Roland Hofwiler
In Belgrad gibt es genug naive Gemüter, die den Regierenden nach wie vor Glauben schenken. Sie nehmen ihnen auch ab, daß sie es mit dem Rückzug der serbischen Armeeangehörigen aus Bosnien ernst meinen. In der Belgrader Presse wird sogar über Armeekommandanten in Bosnien berichtet, die sich gegen Belgrad stellen. Generaloberst Talic, Chef des Armeekorps in Banja Luka, z.B. will Belgrad sogar den Gehorsam verweigern: „Kein einziger Soldat, keine Patrone, geschweige denn ein Panzer wird abgezogen.“ Hat Milosevic also Krach mit den Generälen bekommen? Studiert man jedoch die „crni bilten“, die internen Schwarzhefte des jugoslawischen Offizierkorps, kann diese Frage verneint werden. Der Verdacht taucht auf, hinter der angeblichen Uneinigkeit stehe nur eine gemeinsam verabredete Taktik.
Denn aus diesen Informationsschriften, die „für den internen Gebrauch“ von der Belgrader Nachrichtenagentur 'Tanjug‘ zusammengestellt werden, wird folgende Strategie für die serbische Politik umschrieben: Das internationale Ansehen Serbiens und der jugoslawischen Armee habe in den letzten Wochen schwer gelitten, nachdem selbst die Vereinigten Staaten, in zwei Weltkriegen Verbündeter Serbiens, Belgrad die Hauptverantwortung für die Kriegssituation in Bosnien zugeschrieben habe. Dieses Image müsse verändert werden, da Serbien in die internationale Isolation gedrängt werde, aber auch „feindliche Kräfte anderer Länder ein leichtes Spiel hätten für mögliche Militäraktionen gegen (Rest-)Jugoslawien“. Wenn sich die Ereignisse in Bosnien jedoch in den Augen der Weltöffentlichkeit hin zu einem „Bürgerkrieg“ oder sogar „Religionskrieg“ entwickeln würden, dann würde man Belgrad nicht länger als Hauptschuldigen anprangern können. Bei der Definition „Religionskrieg“ könnte man der Welt sogar wieder plausibel erklären, daß Katholiken und Moslems die gewaltsame Vertreibung orthodox-gläubiger Serben beabsichtigten, was vor allem in Rußland und Osteuropa Verständnis für den „serbischen Verteidigungskampf“ wecken könnte. Aus diesen Gründen sei die Auflösung der Bundesarmee vordringliches Ziel, müsse die Übergabe schwerer Armeewaffen an „verdiente Bürgerwehren“ sofort erfolgen und in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden, Belgrad habe die Kontrolle über die Armeeverbände in Bosnien verloren.
Verwunderlich ist auch, daß sich in Kroatien die Empörung in Grenzen hält. Zum einen beteuert das offizielle Zagreb, Kroaten und Muslimanen kämpften in Bosnien in einer gemeinsamen Front gegen den „serbischen Aggressor“. Zum anderen aber trafen sich der erste Mann Kroatiens und der erste Mann der bosnischen Serben, Franjo Tudjman und Radovan Karadzic, am Mittwoch im österreichischen Graz zu Geheimgesprächen. In der regierungstreuen Tageszeitung 'Vjesnik‘ stand gestern sogar zu lesen, daß man in Graz „Auswege aus der bosnischen Krise suchte“. Unter Ausschluß der Muslimanen, der mit Abstand größten Bevölkerungsgruppe (43 Prozent) Bosniens.
Tudjman hatte ja schon des öfteren in bezug auf Bosnien den direkten Kontakt zu Serbien gesucht. Ihm könnte wie Milosevic an der Aufteilung Bosniens gelegen sein, zumal die Kroaten der Herzegowina immer lauter die Angliederung an Kroatien fordern. Lediglich die Kroaten in anderen Teilen Bosniens stehen loyal zu den Muslimanen. Dies würde jedoch die mittlerweile international verbriefte staatliche Integrität Bosniens wieder in Frage stellen. Glaubt man Milovan Djilas, einst rechte Hand des Staatsgründers Tito und später dessen schärfster Kritiker, so hält er ein „Abkommen“ zwischen Kroaten und Serben zu Lasten der Muslimanen für durchaus denkbar. Für ihn gibt es auch keine Differenzen zwischen den bosnischen Generälen und Milosevic: „Bisher arbeiten sie sehr gut zusammen.“
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