KOMMENTAR: Wermutstropfen für Rechte
■ Zum friedlichen Verlauf der Antifa-Demo in Karlshorst
Demonstrationen, die alle zufriedenstellen, gibt es selten. Die Veranstaltung in Karlshorst war so eine. Die Organisatoren freuten sich, daß Tausende nicht ihre Stadt den Neonazis als Aufmarschplatz überlassen wollten. Die Polizisten freuten sich, weil sie früher als vermutet ihre Kampfmontur ausziehen konnten. Die Notärzte freuten sich, weil sie niemanden versorgen mußten. Und am allermeisten freuten sich die Mitglieder des Wahlbündnisses »Die Nationalen«. Anstatt sich mit Antifaschisten im Villenviertel herumzuschlagen, saßen vermutlich am Sonnabend ein Dutzend Rechtsextreme in irgendeinem Lichtenberger Hinterzimmer und verfaßten eine Dankadresse an den Polizeipräsidenten und den Innensenator.
Das ganze Gezerre — dürfen sie oder dürfen sie nicht — und letztlich das Verbot des Verwaltungsgerichts in allerletzter Stunde bescherte der bis dato völlig unbekannnten Gruppierung eine Publicity, die billiger nicht zu bekommen war. Die Strategie, den Wahlkampf von ihren Gegnern führen zu lassen, hatte vor Jahren schon die »Republikaner« immerhin in das Abgeordnetenhaus gebracht. Die ganze Show kostete jetzt die alten und neuen Braunen einige Anrufe und Telefaxe an die Presse und die Gebühren für den Rechtsanwalt. Und weil dieser Anwalt Sympathisant ist, hat er die Ein- und Widersprüche sicher zu einem Sonderpreis aufgesetzt und sich selbst wieder ins Gerede gebracht.
Jeder kennt jetzt auch den britischen Historiker David Irving, oder wenigstens, daß da so ein »Wissenschaftler« die Gaskammern in Auschwitz bestreitet und die Befreiung als Kapitulation empfindet. Das ist bei der dumpfen Kioskbudenkultur leider konsensfähig.
Und trotzdem ist es richtig, durch Präsenz allen braunen Anfängen zu wehren. Wir sind mehr, und das ist gut zu wissen! Fatal ist in diesem Fall wieder einmal die sensationslüsterne Haltung vieler Medien: Als klar wurde, daß in Karlshorst kein Blut fließen wird, packten sie noch während der Kundgebung ihre Kameras ein. Widerstand mit gewalttätigen Ausschreitungen gleichzusetzen ist aber genau das, was sich die Rechten wünschen. So gesehen war der friedliche Verlauf am Samstag wenigstens ein Wermutstropfen in der Erfolgsbilanz der Rechtsextremen. Anita Kugler
Siehe dazu auch Seiten 4 und 22
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