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An die eigene Nase packen...

■ Traditionsreiches Ost-Kabarett auf alteingesessener West-Bühne: Die Leipziger Pfeffermühle gastiert mit »Wir machen alles gleich« im Theater der Wühlmäuse

Als die Mauer endlich gefallen war, taten sich in der deutsch- deutschen Kabarettszene tiefe Gräben auf. Auf der einen Seite der vereinigten Politbühne stöhnt man über zu hohe Steuern, die Last der Einigung und vielleicht noch über die Arglosigkeit der Ossis. Auf der anderen Seite stöhnt man über zuwenig Steuergeschenke, (ebenfalls) die Last der Einigung und mit Sicherheit über die Kaltblütigkeit der Wessis. Das Kabarett scheint noch lange nicht 100 Prozent kompatibel, gleich und gleich gesellt sich gern — hier in den Wühlmäusen, dort in der Distel. Aber wie soll auch zusammen lachen, was sich erst noch zusammenraufen muß?

Um so erstaunlicher ist das Programm der Leipziger Pfeffermühle: Wir machen alles gleich, mit dem die Sachsen zur Zeit im Theater der Wühlmäuse gastieren. Nach einem zugegebenermaßen etwas unbeholfenen Auftakt kegeln die drei »Neufünfländer« Simone Solga, Hanskarl Hoerning und Lothar Bölck (Musikalische Leitung: Hartmut Schwarze) einen kurzweiligen Abend lang in die vollen des vereinigten Vaterlandes. Dabei treffen sie, wo immer ein Kegel im Weg steht, mal in Ost, mal in West, mal hüben, mal drüben.

Nicht daß sie bereits ihren Frieden damit gemacht hätten, daß die »Werktätigen« nun »Arbeiter« heißen, daß der Rausschmeißer sich jetzt »Arbeitgeber« nennen darf und daß man neuerdings als »Sozialpartnerschaft« bezeichnet, was früher schlicht »Ausbeutung« war. Aber statt immer nur den alten Zeiten nachzutrauern, statt sich auf den trotzigen »So haben wir uns das nicht gedacht«-Standpunkt zurückzuziehen und wende-enttäuscht den bösen Westen zu beschimpfen, packen sie sich selbstkritisch an die eigenen Nasen — und werden so auch west-glaubwürdig.

Da gibt es zum Beispiel den armen Herrn Knösel (Ost), der die neue Freiheit psychisch offenbar nicht verkraftet: »Alles muß ich jetzt selbst entscheiden«, jammert er der jungen Psychologin vor, »nicht einmal beim Brotkaufen im Supermarkt kann ich mich mehr entscheiden.« Weißbrot, Schwarzbrot, Pumpernickel; das Geschrotete für die Verdauung, das Leichte für den Kreislauf. Sesambrote für die Leber, Vollkorn für das gute Gewissen. Um wie viel lieber wüßte sich Herr Knösel von der Last der Verantwortung für seine Gesundheit befreit. Die Frau Doktor möge ihm doch bitte einen Jagdschein ausstellen, »damit wieder andere für mich entscheiden. Wenn dann etwas schiefgeht, ist es wenigstens nicht meine Schuld!«

»Kontemplative Konsumneurose«, diagnostiziert die Fachärztin, weigert sich aber trotzdem standhaft, Herrn Knösel in die Klapse zu schicken. Mit seinen drei Rentenbescheiden, fünf Lebensversicherungen, sieben Abos und den acht Punkten in Flensburg muß der Mann weiterhin selbst fertig werden — auch wenn er nicht einmal weiß, wo Flensburg eigentlich liegt.

Dafür kann sich Knösel am Abend im »MDR« die Talkrunde »Ist den neuen Bundesländern noch zu helfen?« anschauen. Dort hat Frau Redekind drei interessante Studiogäste geladen. Der (West-)Entertainer Marius Schwall und der (West-) Blattmacher Alex Springseil reden, was das Zeug hält. Den Neu-Bundi Alfons Mittelstädt, der »damals auf die Straße ging und heute auf ihr sitzt«, lassen sie lieber gar nicht erst zu Wort kommen. Da kann die ambitionierte Frau Redekind (früher West, jetzt Ost) noch so »investigative Fragen« stellen. Alle gängigen West-Vorurteile kommen dafür hinter der Intellektuellen-Brille des Herrn Springseil zum Vorschein. Er weiß sowieso immer alles besser, weil er ja schließlich »die Meinung erst macht«. Ob Herr Schwall eigentlich schon vor der Maueröffnung im Osten war, will Frau Redekind abschließend wissen. »Ja sicher«, antwortet der Heldentenor empört, »schon oft. In Gedanken!«

Natürlich lassen es sich die Pfeffermüller aus Leipzig nicht nehmen, auch ein wenig Regierungsschelte zu betreiben. An den rechten Kegeln Stoltenberg und Kohl mag dieser Tage eben kein Kabarettist vorbeikegeln. Der König in dieser Partie fällt allerdings erst, als die Sachsen sich über die Berlinpläne der Regierungstreuen lustig machen: Auf den Rosenmontag solle man den immer noch ungewissen Umzugstermin doch einfach legen, meinen sie. Dann kann der Kanzler nämlich endlich im »viel zu großen Mantel der Geschichte« als Tollität vorwegmarschieren und auf dem Weg in die wahre Hauptstadt Kamellen ans Volk verteilen. Jürgen Möllemann schwebt dann im Fesselballon über der Prozession und »läßt permanent heiße Luft ab«...

Welches Ost-Kabarett traut sich schon, aus der Gretchenfrage des letzten Jahres: »Wie hältst du's mit dem Regierungssitz?«, ein Possenspiel zu machen? Und wer nimmt sich schon selbst gern auf die pieksige Schippe der Satire, wie Hanskarl Hoerning und Lothar Bölck als dösige Ost-Polizisten, die dem Banküberfall in der Stadtsparkasse lieber aus sicherer Entfernung zuschauen, als sich (für 60 Prozernt West!) einzumischen? Wenn auch hin und wieder einige altväterliche Scherze oder abgenudelte Klischees zwischen den großen Nummern des Programms stecken, ist Wir machen alles gleich doch insgesamt sehenswertes Kabarett. Für Ost und West. Für alle jedenfalls, die auch Lust haben, sich einmal an die eigene Nase zu packen. Klaudia Brunst

Die Leipziger Pfeffermühle mit ihrem neuen Programm Wir machen alles gleich noch bis zum 23. Mai, So - Do um 20.30 Uhr, Fr und Sa bereits um 19.30 Uhr im Theater der Wühlmäuse, Nürnberger Straße 33.

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