piwik no script img

Anamnese überhaupt nicht möglich

Das Erbe des Dada-Künstlers Raoul Hausmann wieder vor Gericht. Ein Lehrstück der Rechts- und Altenpflege  ■ Von Andreas Juhnke

V

Als wir sie das letzte Mal sahen, war Vera Hausmann nur noch ein paar Pfund Haut und Knochen. Sie hatte ein paar Wochen Essen und Trinken verweigert, man mußte sie aus dem Altersheim in eine Klinik verlegen. Dort wurde sie mühsam wieder aufgepäppelt.

Ein bißchen hatte sie schon wieder zugenommen, aber noch immer mußte jemand danebenstehen und aufpassen, daß sie ihr Glas Mineralwasser wirklich trank und ihre Suppe auslöffelte. Das Stück Kuchen der Krankenhausküche wollte sie aber partout nicht essen. Dafür die Käsesahnetorte, diätgeeignet, die wir aus der nahen Konditorei holten. In ein paar Minuten war der letzte Krümel in ihrem Mund verschwunden. Ein kleines medizinisches Wunder, schließlich hatten wir es mit einem Fall von „paranoider Verarbeitung mit Nahrungsverweigerung“ zu tun.

Das ist eine an sich nebnsächliche Geschichte, die kaum etwas damit zu tun hat, warum Vera Hausmann uns beschäftigt. Sie hat scheinbar nichts zu tun mit den anhängigen Rechtsstreitigkeiten, bei denen es darum geht, ob Vera Hausmann auch mit 85 Jahren noch bestimmen darf, wie ihr Leben weitergeht und was mit ihrem Besitz geschieht.

Die kleine Geschichte zeigt einfach nur, daß Geschäftsnummer 51VIIIH6845Nz, wie sie in den Unterlagen der Berliner Behörden heißt, auch nur ein Mensch ist. Manches mag sie, anderes nicht. Das ist kein Wunder.

Darauf wurde die letzten Jahre nicht viel Rücksicht genommen. Als sie im Oktober 1988 stürzte, sich einige Rippen brach und in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, war der Teil ihres Lebens vorbei, in dem sie selber bestimmte. Von nun an entschieden andere.

Natürlich nur aus Fürsorge, und Vera Hausmann braucht jemanden, der für sie sorgt. Ihr lebenslanges Handicap, eine erhebliche Hör- und Sprechstörung, und die Tatsache, daß sie alleine, arm und nachgiebig war, erleichterten den Zugriff der Apparate. Als man entdeckte, daß sie ob einiger Kisten mit Werken ihres Vaters vermögend sein könnte, übernahm ein Pfleger den materiellen Teil ihrer Existenz. Gefragt, was sie wünsche, wurde sie nur in Ausnahmefällen.

Seitdem ist viel passiert um Vera Hausmann: Ihre Wohnung wurde 1989 aufgelöst, auf den Müll gefahren oder verscherbelt. Einige Kisten Kunst-Besitz, ein Rest dessen, was sie mal hatte, wurde in der Berlinischen Galerie eingelagert. Vera Hausmann wechselte vom Akut- Krankenhaus in eine Reha-Klinik, wo sie über ein Jahr blieb. Von dort kam sie kurz in ein Altersheim, nach ein paar Wochen in psychiatrische Intensivbehandlung, in ein weiteres Krankenhaus und schließlich wieder auf eine psychiatrische Station, wo sie heute noch ist.

Dort wurde sie jetzt wieder begutachtet. Dem Psychiater, Dr.Eberhard Hirschberg, überreichte sie eingangs der Untersuchung einen handschriftlichen Zettel mit Stichworten zu ihrer Situation. Sie möchte „nicht einfach irgendwo hingeführt werden“, „ich bin aufmerksam genug“. Und weiter: „Ich habe genug gelitten, jeder erzählt mir was anderes, wie soll ich erkennen, was gemeint ist?“ Ihre Notizen wirken wie die Kassiber einer Gefangenen. Hastig und abgehackt niedergeschrieben, nach außen gereicht von einer, die sich umstellt fühlt.

Außen, das war für sie immer bedrohlich. Da war die Welt der Nachbarjungen, die sie auf der Treppe anknufften, weil sie die Doofe war, die nicht sprechen konnte. Außen war die Welt der großen Gesten, in der ihr Vater verschwand, als er in den frühen zwanziger Jahren bei der Suche nach der freien Liebe nur doch wieder auf eine Frau stieß, die ihn ganz wollte. Außen waren ihre unerfüllten und verspotteten Träume von der großen Liebe. Außen war jener Milchladen, in dem sie mühsam ihr Begehr artikulieren mußte. Außen waren die Behörden und Ämter, die ihr in den fünziger Jahren die Werkstatt ausräumten, weil sie ihre Steuern nicht zahlte.

Außen ist jetzt eine stattliche Zahl von Juristen und Medizinern, die in sie dringen, über sie befinden und entscheiden. Vera Hausmann hat sich gegen Außen etwas zuglegt, was aber auch nicht hilft: das verschließbare Ohr. Wenn sie nicht will, dann hört sie nichts. Sowas wird natürlich gegen sie verwandt.

Gutachter Hirschberg schildert ausführlich die Versuche, mit ihr in Kontakt zu treten. Sie „berichtet schwer verständlich, teils widersprüchlich“. Selbst Aufschreiben helfe nichts, da kämen auch „unverständliche Antworten“. Sie sei wohl in der Lage, „geordnete Antworten“ zu geben, er habe aber den Eindruck, daß bei „der Zuwendung und Antwortbereitschaft“ besonders „emotionale Gesichtspunkte“ wichtig seien.

Über die gesundheitliche und psychische Verfassung Vera Hausmanns konnte er sich diesen Januar nur ein blasses Bild machen. „Eine exakte Exploration mit Widergabe der biographischen Anamnese des Beschwerdebildes usw. ist überhaupt nicht möglich“, klagt der Gutachter.

Auch Geschäftliches ließ sich nur bedingt diskutieren. Sie „starrt“ lange auf die Erbverträge, die sie im Januar 1991 unterschrieben hatte, und signalisierte, „daß sie sich jetzt offenbar überhaupt nicht mehr damit auseinandersetzen wolle“.

Die alte Dame, die dem Psychiater „mit einem Anstaltsnachthemd und einem dünnen Morgenrock bekleidet“ gegenübersitzt, will nicht mehr dem Gezerre und Gemurkse der Fürsorge als Objekt dienen. Aber sie muß.

1989 hatte sie unterschrieben, daß sie mit einer Pflegschaft einverstanden ist. Statt gedeihlicher Sorge um ihr Hab und Gut wäre sie beinahe um alles gekommen. Auch als sich Claudia Naber, Gerd Ahlers und Delia Güssefeld, durch Flohmarkt-Funde ihrer Sachen aufgeschreckt, sie aufsuchten und ihr halfen, bekam sie ihr Leben nicht mehr unter Kontrolle. Die Berlinische Galerie arbeitete mit ihren Sachen, auch ohne sie direkt zu fragen.

Verantwortlich für alle Transaktionen ist bis heute der gleiche Pfleger, der beinahe alles verschusselt hatte. Der gleiche, der Vera Hausmann um ihre wertvolle Bibliothek, zahllose Briefe ihres Vaters, eine gute Menge Fotos, ihre und Raouls, gebracht hat.

Der Notar und vielfache Pfleger Christhard George ist sich auch keiner Schuld bewußt. Die zuständige Rechtspflegerin Brümmer vom Amtsgericht Schöneberg sieht keinen Grund, ihn abzuberufen.

Im Gegenteil: Mit dem Gutachten von Dr.Eberhard Hirschberg hat George ein Argument mehr auf seiner Seite. Gutachter Hirschberg, ungeachtet der von ihm geschilderten Schwierigkeiten, kommt nämlich zu dem Ergebnis, „daß Frau H. zum Zeitpunkt Januar 1991 als geschäftsunfähig, mithin auch als testierunfähig anzusehen war“.

Also konnte sie auch nicht beschließen, wie sie es im Erbvertrag tat und auf Anfrage bekräftigte, daß der Staat ihren Besitz nicht bekommt. Oder eine Anwältin ihres Vertrauens mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen. Oder die einzige, die sich wenigstens hin und wieder um sie kümmerte, die Kunsthistorikerin Güssefeld, mit der Betreuung der Kunstwerke beauftragen — für die Gegenleistung lebenslanger Pflege, selbstverständlich.

Wie immer das Gericht dieses Gutachten bewerten wird, der nächste Prozeß steht schon ins Haus. George, die Berlinische Galerie und der Senat der Stadt haben nämlich Fakten geschaffen. Jörn Merkert, Leiter der Berlinischen Galerie, vor einigen Tagen zur taz: „Jetzt haben wir alles gekauft.“ Das Geld auf das Konto von Pfleger George kam zu einem kleinen Teil aus Spendenmitteln, zum Großteil vom Kultursenator. Dem waren die letztjährigen Recherchen in dieser Sache so peinlich, daß schnell Geld locker gemacht wurde.

Vera Hausmann erfuhr davon erst, als die taz bei ihr anfragen ließ, was sie denn jetzt zu tun gedenke. Sie wurde auch nie gefragt, ob sie mit dem Verkauf nun einverstanden sei.

Sie wird nicht mal dabei sein, wenn am 26.Mai Hausmann gegen Hausmann verhandelt wird. Die alte Dame, die ihr Leben lang zu engen Kontakt zu Apparaten und Institutionen gemieden hat, möchte von den Rechtsstreitigkeiten verschont bleiben. Vergeblich.

Und ihre beinahe vierjährige Odyssee, derzeitiger Zwischenstopp Psychiatrie, ist wohl auch noch nicht zu Ende.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen