piwik no script img

„In Rio müssen wir unseren Kurs ändern“

■ WORLD MEDIA-Interview mit Maurice Strong, dem Generalsekretär der UNCED-Konferenz in Rio/ „Es ist nicht der beste Zeitpunkt für Veränderungen — aber wir können nicht warten“

World Media: Worin wird auf der UNO-Konferenz in Rio Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen guten Absichten und ernsthaftem Engagement liegen?

Maurice Strong: Zweieinhalb Jahre Verhandlungen und Vorbereitungen haben einiges an Ergebnissen gebracht: Über die meisten Vorschläge, die wir den Regierungen übermittelt haben — 98 Prozent —, besteht bereits Einvernehmen. Die restlichen zwei Prozent sind natürlich besonders wichtig, aber ich glaube doch, daß wir eine gute Chance haben, diese Lücke zu schließen. Wenn es nur bei guten Absichten bliebe, dann hätten natürlich 175 Regierungen zweieinhalb Jahre lang umsonst gearbeitet.

Hat Osteuropa, nachdem der Schaden für seine Umwelt erkannt wurde, diese Sorge in seine Entwicklungsstrategie einbezogen?

Osteuropa ist kein homogenes Ganzes mehr. Es gibt große Unterschiede von Land zu Land. Allen ist jedoch gemeinsam, daß sie sich der Umweltsünden, die während des verflossenen Regimes begangen wurden, zutiefst bewußt sind. Sie stecken jedoch in dem Dilemma, daß sie unter starkem Druck stehen, Arbeitsplätze zu schaffen. Ich mache mir Sorgen, daß sie der Versuchung erliegen könnten, dem kurzfristigen Zwang zu neuen Investitionen zu erliegen, ohne besondere Sicherungen für die Umwelt einzuführen. Sie werden einen sehr hohen Preis zahlen müssen, wenn sie nicht von Anfang an dafür sorgen — wenn sie das nicht schaffen, werden sie die Fehler der früheren Regime wiederholen. Deshalb muß der Westen mit ihnen zusammenarbeiten.

Sie wurden zitiert mit der astronomischen Summe von 125 Milliarden US-Dollar jährlich als notwendigem Finanzvolumen, um das Programm von Rio zu verwirklichen. War das eine Provokation? Wer soll das bezahlen?

Wir haben unsere Zahlen nicht aus der Luft gegriffen. Das waren Schätzungen aufgrund der „Agenda 21“, des Programms, dem die Regierungen bei der Konferenz hoffentlich zustimmen werden. Die Gesamtsumme war sogar höher als 125 Milliarden: 625 Milliarden Dollar! Diese Zahl gilt jedoch für die Kosten der Entwicklungsländer, nicht die Kosten für alle. Mindestens achtzig Prozent dieser Kosten müssen von den Entwicklungsländern selbst getragen werden. Nicht indem sie neues Geld auf den Bäumen wachsen lassen, sondern durch Umwidmung ihrer eigenen Ressourcen und eine Änderung ihrer Politik in ihrem eigenen Interesse. Die zusätzlichen 20 Prozent müssen von den Industrieländern kommen, insgesamt etwa 125 Milliarden Dollar. Aber etwa 55 Milliarden fließen bereits in Entwicklungsländer, so daß etwa 70 Milliarden Dollar bleiben. Diese Hilfe zu leisten, liegt in unserem eigenen Interesse.

Aber die reichen Länder zeigen sich zurückhaltend.

Die reichen Läner stehen heute vor Budget-Schwierigkeiten. Sie empfinden sich als arm! Es ist also nicht der beste Zeitpunkt, die Reichen zu einer Veränderung ihrer Haltung zu bewegen. Aber aus den gleichen Gründen ist es auch für die Armen kein guter Zeitpunkt dafür. Dennoch: Wir müssen diesen Prozeß der Veränderung jetzt in Gang setzen, gleichermaßen bei Armen und Reichen.

Wer wird die Beschlüsse von Rio umsetzen?

Im Vorbereitungsausschuß haben die Regierungen erkannt, daß auf der zwischenstaatlichen Ebene irgendein bedeutender Mechanismus erforderlich ist. Der Prozeß, der all diese Parteien zusammengebracht hat — Regierungen, internationale Institutionen und Organisationen sowie den privaten Sektor — muß weitergehen. Daher muß es im Rahmen der Vereinten Nationen ein Werkzeug geben, um diesen Prozeß zu fördern. Nicht eine „Überbehörde“. Wir haben erkannt, daß praktisch jeder Aspekt unseres Lebens mit der Umwelt zu tun hat, und das kann man nicht alles in einer riesigen Ober- Instanz zusammenfassen. Man muß vielmehr mit allen Beteiligten ins Gespräch kommen.

Sie haben im Abstand von zwanzig Jahren zwei bedeutende Konferenzen organisiert. Halten Sie das für den besten Weg, etwas zu erreichen?

Bei der Konferenz in Stockholm vor zwanzig Jahren lautete unsere Aufgabe, die Umwelt auf die internationale Tagesordnung zu setzen — und das haben wir geschafft. Aber jetzt wird uns klar, daß in diesen zwanzig Jahren zwar in vielen Bereichen Fortschritte erzielt wurden, der Patient allgemein gesprochen jedoch hinfälliger geworden ist: Die globale Umweltsituation hat sich verschlechtert. Daher müssen wir in Rio Entscheidungen treffen, die buchstäblich unseren Kurs ändern, uns auf einen tragfähigeren Weg bringen. Das Hauptziel des Erdgipfels in Rio liegt darin, die Basis für wichtige Veränderungen in unserem ökonomischen Verhalten zu liefern, als Individuen, als Körperschaften, als Nationen und in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, insbesondere zwischen den Entwicklungs- und den Industrieländern. Selbst die größten Länder können das nicht allein schaffen. Eine Konferenz ist eine gesetzgebende Versammlung — und diese wird die größte ihrer Art.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen